Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 mache ich erst einmal eine Art Kuselkopp zum Wochenrückspiegel von letzter Woche. So Sie dort den Platz 7 besichtigen, werden Sie das Stichwort “makroprudentielle Überwachung“ entdecken – ein neuer Gassenhauer im Zentralbankenmilieu. EZB- Vizepräsident Vitor Constâncio stellte nunmehr am 23. Juni 2014 „Forschungsergebnisse“ des “Macro-Prudential Research Network“ vor. Constâncios selbst wollte in einem einführenden Rede-Beitrag namens “The ECB and Macro-Prudential Policy: From Research to Implementation” so verstanden werden, dass Regulierungsbehörden keinerlei Schuld am Ausbruch der Finanzkrise träfe, insofern makroprudentielle Instrumente gefehlt hätten. Dass diese nun den „Makroklempnern“ zur Verfügung gestellt werden, sei ein Gebot der Stunde.
Wesentlich mehr dazu hier bzw. hier.
Auf Platz 9 schreibt Glenn Greenwald auf der Website der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ in Sachen NSA von einer “Schere im Kopf – Wie Massenüberwachung jeden Protest im Keim erstickt“.
Ein kleiner Appetizer:
“Lange Zeit galt das Internet als ein beispielloses Instrument der Demokratisierung und Liberalisierung, ja sogar der Emanzipation. Nach Ansicht der amerikanischen Regierung aber drohen dieses weltweite Netzwerk und andere Kommunikationstechnologien die Macht der USA zu untergraben. Aus dieser Sicht betrachtet, ist das zentrale Ziel der NSA, ‘alles zu sammeln‘, letztlich schlüssig. Die Beobachtung sämtlicher Bereiche des Internets und aller anderen Kommunikationsmittel durch die NSA ist entscheidend dafür, dass niemand der Kontrolle der amerikanischen Regierung entgeht. (…)
Und es ist leicht zu verstehen, warum die Behörden in den USA, aber auch in anderen westlichen Ländern, der Versuchung unterlagen, ein derart omnipräsentes Spionagesystem zu entwickeln, das auch – und nicht zuletzt – gegen die eigenen Bürger gerichtet ist. Eine immer größere Kluft zwischen Arm und Reich, die durch den Zusammenbruch des Finanzsektors im Jahr 2008 noch vertieft wurde, hat zu einer schweren innenpolitischen Instabilität geführt. Selbst in äußerst stabilen Demokratien kam in den letzten Jahren sichtbar Unruhe auf. 2011 flammten in London tagelang Straßenkämpfe auf. In den USA organisierten sowohl die Rechte – mit den Protestaktionen der Tea-Party von 2008 und 2009 – als auch die Linke – die Occupy-Bewegung – den Protest verärgerter Bürger. Umfragen in beiden Ländern zeigten eine überraschend starke Unzufriedenheit mit der politischen Klasse und der Entwicklung der Gesellschaft.
Angesichts von Unruhen haben Machthaber im Allgemeinen zwei Alternativen: die Bevölkerung mit symbolischen Zugeständnissen zu beschwichtigen oder ihre Kontrolle zu festigen, um die eigenen Interessen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Die Eliten im Westen scheinen die zweite Option als die beste, vielleicht als den einzig gangbaren Weg zu betrachten, um ihre Position zu wahren. Die Occupy-Bewegung wurde mit Gewalt – durch Tränengas, Pfefferspray – und durch strafrechtliche Verfolgung zerschlagen. Polizeikräfte, die wie paramilitärische Einheiten agierten, zeigten in allen amerikanischen Städten massive Präsenz und trieben mit Waffen, wie man sie auf den Straßen Bagdads gesehen hatte, die weitgehend friedlichen Demonstranten auseinander, die sich legal versammelt hatten. Die Strategie war, Angst vor der Beteiligung an Protestmärschen und Demonstrationen zu erzeugen, und sie funktionierte. Gleichzeitig verfolgte man damit das umfassendere Ziel, das Gefühl hervorzurufen, dass ein solcher Widerstand gegen ein starkes und undurchschaubares Establishment sinnlos ist.
Um all das zu erreichen, ist ein System allgegenwärtiger Überwachung noch viel wirksamer. Wenn die Regierung alles beobachtet, was die Menschen tun, wird allein schon das Organisieren von Widerstand schwierig. Aber die Massenüberwachung erstickt jedes abweichende Verhalten auch auf einer tieferen und noch entscheidenderen Ebene: im Kopf. Der Einzelne richtet sich selbst dazu ab, nur noch in eine Richtung zu denken, die erwartet und verlangt wird.“
Schlüssig argumentiert geht’s hier weiter.
Dann gibt es noch Statements zur NSA, den BND und die Situation der Journalisten, die über das Thema schreiben, mit der Anwältin Jesselyn Radack – einmal hier, und einmal hier zusammen mit Thomas Drake, Ex-NSA-Agent.
Auf Platz 8 vermögen Sie sich etwas firm zu machen mit dem Office of Terrorism and Financial Intelligence (TFI) des US-Finanzministeriums.
“Das Besondere an dieser Abteilung im US-Finanzministerium ist, dass es auf einen ganz eigenen Geheimdienst für Finanzfragen zurückgreifen kann. Dieser durchkämmt bei seinem ‚War on Financial Terror‘ (unter ‘Key Topics‘) Bankberichte, teilt Informationen mit dem FBI und der CIA, bekämpft Geldwäsche und hat ein Auge auf digitale Währungen wie Bitcoin. Vor allem aber analysiert und vollstreckt das TFI Sanktionen gegen ausländische Staatsbürger und Instanzen. So geschehen als Reaktion auf Putins Annexion der Krim.“
Falls Sie das interessieren sollte, klicken Sie hier.
Auf Platz 7 kommt eine neue Studie vom Project SALAM (Support And Legal Advocacy for Muslims) und der National Coalition to Protect Civil Freedoms (NCPCF) unterdessen zum Schluss, dass über 90% der in den letzten Jahren fehlgeschlagenen Terrorakte in den USA tatsächlich vom FBI fabriziert wurden. Das Muster dieser Aktivität: das FBI manipuliert Leute, die den Eindruck machen, dass sie Terrorakte begehen könnten, indem es ihnen Geld zur Verfügung stellt und motiviert, diese Anschläge zu begehen. Dann schreiten die Agenten ein und führen Verhaftungen für Handlungen durch, die von ihresgleichen inspiriert wurden. Auf die Weise wird dem “War on Terror“-Affen an der Heimatfront im Sinne von Meinungsmache Zucker gegeben.
Die Studie kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Weitere Lektüre zum Thema “erfundener Terrorismus“ gibt es hier und hier.
Auf Platz 6 folgt sodann Angstmacher und Prophet Richard Cheney, ehemals Energiemanager und US-Vizepräsident, der im Radio in der „Hugh Hewitt Show“ bezüglich der Terroranschlagsgefahr in den USA in diesem Jahrzehnt sagte: „Ich denke, es wird einen weiteren Angriff geben, und nächstes Mal wird er weitaus tödlicher als beim letzten Mal sein. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn jemand einen atomaren Sprengsatz schmuggeln könnte, ihn in einen Schiffscontainer steckt und mit ihm dann auf die Ringautobahn außerhalb von Washington DC fährt.“
Cheney sprach daraufhin über das sogenannte “Continuity of Government“-Programm – freilich unterschlagend, dass er es war, der es mit Donald Rumsfeld an 9/11 aktivierte, nachdem er 20 Jahre lang an dessen Ausarbeitung beteiligt gewesen war, und natürlich auch weglassend, dass es bis heute noch immer in Kraft ist (siehe hier).
Lesen Sie hier weiter unter der Überschrift “DICK CHENEY: There Will Be Another ‚Massive Attack‘ On America That’s ‚Far Deadlier‘ Than 9/11“.
Auf Platz 5 hätte ich hier bzw. hier von Antikriegsaktivitist David Swanson eine ganze Reihe von interaktiven Karten auf WorldBeyondWar.org, aus denen Sie ersehen können, wo Kriege geführt werden, wo welche in Vorbereitung sind, und welche Geldsummen dafür draufgehen.
Dann, da Krieg nicht selten mit Öl-/Energiepolitik zu tun hat, verweise ich auf diesem Platz des Weiteren auf einen Artikel von Michael Schwartz zur Situation im Irak: “It’s the Oil, Stupid! – Insurgency and War on a Sea of Oil“ – zu finden hier.
Ferner gibt es “The Four Horsemen of the Geopolitical Apocalypse”, ein Artikel von Ian Bremmer, Professor an der New York University und Leiter der Eurasia Group. Bremmer vertritt die These, dass wir “die kreative Zerstörung der alten geopolitischen Ordnung“ erleben – wie Sie hier nachlesen können.
Auf Platz 4 will ich extra auf eine fleißig zusammengetragene Materialsammlung zum Vormarsch von ISIS im Irak hinweisen, die ich hier vorfand:
The Intrigue Lying Behind Iraq’s Jihadist Uprising
Syrian army foils chemical attack on Damascus
The Cleansing of Iraq’s Christians Is Entering Its End Game
How ISIL came into existence?
Kurdish forces in full control of oil city of Kirkuk after Iraq army flees
THE INNER CORE OF ISIS – THE INVASIVE SPECIES
ISIS „success“ facilitated by betrayal, Iraqi government inadequacies
NATO’s Terror Hordes in Iraq a Pretext for Syria Invasion
Stratfor: Worsening Violence in Iraq Threatens Regional Security
Theories behind the ISIS takeover of Iraqi province
French soldiers and “journalists” operating the secret war in Syria
French Officers Train Syrian Rebels in Jordan, Turkey
Syria’s election shows depth of support for Assad
RichardBlack Senator of Virginia writes to Assad and thanks the SAA 4 its “heroic rescue of Christians in Qalamoun“Syrian Rebels Describe U.S.-Backed Training in Qatar
Harakat Hazm: America’s new favorite jihadist group
First Footage from Inside Aleppo Central Prison
„Rebels“ fight to prevent regime siege in Aleppo
Blockade von Aleppo Prison gesprengt!
Befreiung von Homs, der Anfang vom Ende der Aggression gegen Syrien
Chechen jihadists in Syria: The case of Omar al-Shishani
The solution to the crisis in Ukraine lies partly in Syria
Secret US-Hizballah talks. Washington plans to include Lebanon, Syria deals in Iran nuclear pact
West Hangs Syrian-Style War Over Egypt’s Future
Two Mid East intelligence chiefs, Gen. Kochavi and Prince Bandar, were wrong about Syria
Pro-gov Sunni fighters in Aleppo defy sectarian narrative
Syria Aleppo Sunni Quds Baath Brigades
Außerdem sei auf ein ORF-Interview mit Nahost-Fachkraft Dr. Karin Kneissl hingewiesen, welches sich hier aufrufen lässt. (Extra-Hinweis: Anlässlich ihres neuen Buchs werde ich Frau Kneissl binnen weniger Tage im Interview haben – stay tuned…)
Auf Platz 3 schreibt Martin Hutchinson auf PrudentBear.com, dass die Schuldenmacherei in China seit 2008 rasant zugenommen hat und sich die Vermögenswerte, die von Banken gehalten werden, verdoppelten. Da schlechte Schulden nur unter den Teppich gekehrt wurden und die Kreditaufnahme doppelt so schnell als in den USA vor fünf Jahren wächst, zeichnen sich gehörige Schwierigkeiten ab. Hutchinson rechnet in seinem Artikel “China may soon take giant step backwards” damit, dass es über kurz oder lang zu Bürgerunruhen in China kommen wird – warum das so ist, lesen Sie hier.
Auf Platz 2 können Sie sich zu Gemüte führen, auf welcher Mandatsgrundlage die EU-Kommission mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP verhandelt – und zwar hier. Außerdem fand ich noch einen Artikel namens “Geheimwaffe TTIP: Der Ausverkauf der öffentlichen Güter“ lesenswert – was Sie hier nachprüfen könnten.
Und auf Platz 1 kommen wir zum seit langem so ziemlich bizarrsten „News“-Brocken, der von interessierter Seite zur Verwirrung und Provokation lanciert worden ist – namentlich dieser Bloomberg-Bericht hier. Die nötige Richtigstellung von Peter Boehringer (siehe hier) sorgt zwar für Ernüchterung, geht aber, was man ihr nicht vorhalten kann, auf mindestens einen Subtext nicht ein: nämlich dass abgesehen von Schäuble-Gefolgsmann Barthle hier vor allem dem neuen Ersatzmann für die Position des transatlantischen Koordinators (anstelle des wegen zweier Fehltritte herausgedrängten Mißfelder) Gelegenheit gegeben wird, seinen Bückling zu machen – statt sich wie der frühere Koordinator Voigt in Gesprächen mit dem „investigativen“ Zeithistoriker Gareth Porter mit vertraulichen Kenntnissen zu den erlogenen Hintergründen des diplomatischen Krieges gegen Iran zu äußern.
In den Zuschriften findet sich eine Bemerkung, die nahezu alles auf den Punkt bringt:
How can a simple request for delivery of gold back to Germany be an irritant to German/American relations?
If the German gold were actually sitting in the Federal Reserve’s vault, it would be a simple matter to put it on a plane for delivery. The problem is that the gold is gone. It has been stolen by the banksters who run the New York Fed. It has been used for private profiteering, and gaming the gold market in subsidized manipulations to artificially suppressing gold prices on behalf of the US Treasury. (Kursiv von mir; hinzuzufügen ist: own.)
Man muss meines Erachtens dieses Abschreckungsmärchen in Verbindung setzen zu einer wichtigen Aussage eines anderen Bloomberg-Berichts, der genauso hergeholt erscheint (und selbstredend einen gegen Erdoğan gerichteten Drall hat) wie der von der Berliner Bloomberg-Korrespondentin: Secret Turkey Gold Trade
Dass die Türkei seit längerer Zeit dem Iran Gold statt Devisen für seine Öl- und Gaslieferungen verschafft, war ja bekannt. Dass die USA ihren weltweit erzwungenen Sanktionsimperialismus nicht nur für den USD-Zahlungsverkehr erzwingen, sondern dies auch für Gold anstreben, ist bislang noch kaum medial aufgefallen – und taucht hier nur in einem Nebensatz auf: When the gold trade was foiled by tightening American sanctions starting in July 2013, Sarraf and his collaborators kept exporting.
Die Konsequenzen aus dieser Facette des Währungskrieges sind erheblich, wenn man die Geschichte dieser Kriegführung gegen den Iran seit 1979 (als David R.s Chase das iranische Nationalvermögen konfiszierte) betrachtet und den Erfolg in Rechnung stellt, mit welchem die USA ihren WTO-Partnern ihre Sanktionen de tous azimuts aufzuzwingen in der Lage sind.
Unterdessen verlautbarte der Vorsitzende der Shanghai Gold Exchange, Xu Luode, dass die chinesische Goldnachfrage im Jahre 2013 die Marke von 2000 Tonnen erreichte – wie Ihnen hier nahegebracht wird. Der Transfer des physischen Goldes von West nach Ost, der medial von seiner Bedeutung her kaum angemessen beleuchtet wird, geht munter weiter…
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: BO DIDDLEY – Mumblin‘ Guitar.
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.