Die Woche im Rückspiegel betrachtet

Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.

Von Lars Schall

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.

Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…

TOP 10-LINKS DER WOCHE

Auf Platz 10 will ich zunächst einmal bekennen – quasi in alter Groucho-Marxistischer-Tradition: „Je suis désolé, mais je ne suis pas Charlie!“ Aus dem ganzen Wust, der an peinlich-elenden Wortmeldungen und Lippen-Bekenntnissen in den letzten Tagen in Medien und Politik herniederging, fischte ich ein paar Reflexionen heraus, die nicht sogleich bei mir Erbrechen provozierten. Da ruft die “Titanic“ in die Wüste hinein: “Es lebe der Witz!“, und sieht es “anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris“ als “nötig“ an, “mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung.“

Zum Anliegen der Komik folgen alsdann hier ein paar Anmerkungen.

Auf der Website “Hinter der Fichte“ wird der ARD attestiert, angesichts der Morde in Paris “den Chor der Heuchler“ anzuführen: „‘Abscheulich, barbarisch, brutal.‘ Nein, hier ist nicht von den ermordeten Zivilisten des Drohnenkillers Obama die Rede; nicht von Gaza; nicht von den Opfern der Faschisten in Kiew – und schon gar nicht von den durch Terroristen ermordeten russischen, libyschen oder syrischen Journalisten. Darüber ist nichts, nichts, nichts dergleichen zuhören.

Die Führungsriege der Herrschenden und die Konzern- und Staatsmedien heucheln sich jedoch heute den letzten Rest Seele aus dem Leib und reden bei den Morden in Paris von einem ‘Angriff auf die Pressefreiheit‘, ja auf uns alle. Welche Pressefreiheit?“

Weiteres dazu hier unter “Paris-Morde: Die Heuchelei der ARD kennt keine Grenzen“.

Matthias Bröckers ruft im Kontext mit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ die richtige Zeichnung in Erinnerung – siehe hier.

Zum 125. Geburtstag von Kurt Tucholsky kramt die “Randzone“ eine Frage des Herrn aus Berlin hervor, die er sich im Jahre 1919 stellte: „Was darf die Satire?” Seine Antwort: “Alles.” Die “Randzone“ notiert:

“In den vergangenen Tagen und vor dem Hintergrund des faschistisch-islamistischen Anschlags auf das französische Satire-Blatt ‘Charlie Hebdo‘ wurde dieser Satz unzählige Male zitiert. Und kein bürgerliches deutsches Blatt, das auf sich hält, wird heute darauf verzichten, das Leben dieses Mannes und dessen Arbeit entsprechend zu würdigen – ‘auf jenes gut verträgliche Maß eines lebensklugen und unterhaltsamen Publizisten und Schriftstellers zurückgeschnitten und auf den Grad von Herausforderung minimiert, der den Anbetern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eben noch erträglich ist.‘

Zu erwarten ist daher auch, daß man sich über diesen derzeit sehr passenden Satz hinaus mit der dennoch sehr differenzierten Auseinandersetzung Tucholskys über die Grenzen der Satire nicht beschäftigen wird.“

Wäre aber eigentlich angebracht, wie Sie hier ersehen können.

Das “Robber’s Cave Experiment“ zu kennen ist dieser Tage ebenfalls nicht ganz unangebracht – drum schauen Sie einmal hier vorbei.

Angesichts des Themas der “Gruppenidentität“ bzw. “Wir vs. Die“, um die es beim “Robber’s Cave Experiment“ ging, schwappte bei mir übrigens nach langer, langer Zeit mal wieder eine Einsicht von Arthur Schopenhauer im Gedächtnis hoch, welche besagt:

„Die wohlfeilste Art des Stolzes … ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.“ (Aus: Parerga und Paralipomena.)

Ich fürchte, im Laufe des Jahres 2015 werde ich an diesen Ausspruch des Mannes aus Danzig noch öfter denken müssen…

Wirklich nachdrücklich empfehlen möchte ich Ihnen zuletzt auf diesem 10. Platz ein Interview, das Jens Wernicke mit der Medienkritikerin sowie Sprach- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer führte, “PEGIDA ist das Symptom eines größeren Problems“. So heißt es zum Beispiel über “islamophobe Hetzportale im Internet“:

“Was die Macher solcher Internetseiten dabei in aller Regel nicht wissen: Ihre vermeintliche Argumentation entstammt … vor allem evangelikalen und fundamentalistisch-katholischen Vordenkern wie beispielsweise Adelgunde Mertensacker, die mit dem Kurier der fundamentalistischen Christlichen Mitte in den 1990er Jahren das Setting und die Perspektive für diesen kulturellen Rassismus vorgab. Und diese wiederum entstammt geopolitisch interessierten Denkfabriken, wie etwa dem Middle East Forum eines Daniel Pipes, wie inzwischen das Center for Amercian Progress nachgewiesen hat. (…)

Eine Art offiziellen Auftakt zur Nutzung der weltweiten Islamphobie waren dabei 1990 die Rede und der Aufsatz von Berhard Lewis ‘The Muslim Rage‘, deren Thesen sein Freund und Kollege Samuel Huntington später noch in Buchform goss. Dies ist kein zufälliger Zeitpunkt, denn während es immer Ressentiments gegen Islam und Muslime gab – Stichwort ‘Iranische Revolution‘und historische Ereignisse wie ‘die Türken vor Wien‘ -, ersetzte nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren das Feindbild Islam zunehmend den alten Antagonismus. Und zwar mit geopolitischem Impetus, wie beispielsweise Daniele Ganser es mit Blick auf Ressourcen und Ressourcenwege beschreibt.

Das Center for American Progress hat Geldströme untersucht und am Beispiel des bereits erwähnten Middle East Forums nachgewiesen: Das Interesse am Nahen Osten ob seiner geostrategischen Bedeutung auf der einen und Islamismus sowie das Feindbild Islam auf der anderen Seite müssen zusammengehörig verstanden und analysiert werden. Der Vater von Daniel Pipes, Richard, war einst als Direktor des Zentrums für Russische Studien noch für den US-amerikanischen Antikommunismus sowie das Feindbild Russland zuständig, der Sohn ist dies nun offenbar für das Feindbild Islam. Die Bilder wechseln also, die Strategien hingegen bleiben gleich.“

Das ganze Gespräch zwischen Wernicke und Schiffer samt ergänzenden Verlinkungen steht hier zur Lektüre bereit.

Auf Platz 9 heben wir ab. Oder jedenfalls denken wir uns über die “Top Ten Space Business Stories of 2014“, die von Milbank kommen, ins All hinein. Genauer sind es Satelitten-Nachrichten, die uns dort hinbringen. Wussten Sie beispielsweise, dass die Satellitenindustrie die am schnellsten wachsende des US-Export-Import-Bankenkreditsektors ist – mit einem Wachstum, so heißt es, von 50 Millionen USD hin zu 1 Milliarde USD an Krediten pro Jahr seit 2010. Space Systems/Loral allein wird für Skybox Imaging 13 Erdbeobachtungssatelliten bauen.

Das las ich hier.

Hier las ich derweilen “These 11 Technologies Will Go Big in 2015“…

Auf Platz 8 will ich eine Buchempfehlung aussprechen, indem ich kurz aus einer Buchkritik zitiere / übersetze, die über Peter Dale Scotts neuestes Werk geschrieben wurde, “The American Deep State: Wall Street, Big Oil, and the Attack on U.S. Democracy“. Die Rezension stammt von Ciaran Tyler, der an einer Universität im UK studiert, und Herr Tyler schreibt u.a.:

“Ich muss von Anfang an sagen, dass es schwierig ist, die Bedeutung und die Brillanz von American Deep State zu untertreiben. … Von besonderer Bedeutung und Interesse für mich sind die Kapitel 4-6, in denen Scott ohne jedweden Zweifel zeigt, dass Elemente innerhalb dessen, was er den US-‘Deep State‘ nennt, Schlüsselpersonen in al-Qaida geschützt haben; was wiederum Terrorangriffe erlaubte, durchgeführt zu werden. Diese Analyse kann mit seiner Forschung in Kapitel 13 verbunden werden, das hervorhebt, wie wichtige Verbündete der USA, Saudi-Arabien und Pakistan, und vermutlich ihre eigenen Tiefen-Elemente, selbst nicht nur al-Qaida schützten, sondern auch finanzierten. Dies führt Scott zu seiner Schlussfolgerung, dass der globale Krieg gegen den Terrorismus ‘verfälscht‘ und ‘selbst-generierend‘ wurde, ähnlich wie der Krieg gegen die Drogen. … Wie immer sind die Bearbeitung und Schreibqualität hervorragend; auch wenn andere Scott beschuldigen, in seiner Analyse übermäßig detailliert und trocken zu sein, kann ich Ihnen versichern, dass American Deep State, gleichwohl gründlich mit Verweisen versehen, nichts von diesen Dingen ist. Und nun muss ich mit dem düsteren Teil dieser Besprechung schließen, die harte Realität, dass solch ein wunderbares Buch gerade von denen nicht diskutiert oder gelesen werden wird, die es am meisten zu lesen nötig hätten.“

Die englischsprachige Buchkritik von Tyler ploppt hier in ihrer Gänze auf.

Zwei Auszüge, die aus dem Buch auf der US-Website “WhoWhatWhy“ erschienen, habe ich mit Erlaubnis von Peter Dale Scott exklusiv ins Deutsche übersetzt:

Der tiefe Staat und die Voreingenommenheit der offiziellen Geschichtsschreibung“ – siehe hier;

Wie ein Plot des Tiefenstaats Jimmy Carter zu Fall brachte“ – siehe hier.

Auf Platz 7 antwortet Cora Stephan auf die Frage, die wir uns alle immer wieder mal stellen – namentlich für wen Journalisten eigentlich schreiben:

“Einige Götter des Feuilletons mögen das zwar anders sehen, aber das journalistische Gewerbe ist auch nur Menschenwerk. Auch hier sitzt man im Mustopf – nämlich bei den Kollegen. Und mit denen ist man schneller einig als mit den fernen Lesern, denen man eh nicht über den Weg traut.

Kurzum: Journalisten schreiben, insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen das Zeitungsgeschäft kriselt, für jene, deren Wohlwollen sie benötigen: für ihresgleichen. Für ein Milieu also, das eher städtisch und intellektuell orientiert ist und wo man, wie bekannt ist, politisch eher zu Rotgrün neigt.

Doch woanders kennt man das auch, diesen Gruppendruck, der Teamarbeit so fruchtlos macht: ein Konsens ist schnell erreicht und alle, die anders und anderes denken, halten sich lieber zurück, damit sie beim Kantinenessen nicht allein sitzen. Das mag für manch einen fürchterlicher sein als der Zorn der Leser.

Von dem gibt es derzeit reichlich: ,Lügenpresse, halt die Fresse‘ wird nicht nur in Dresden skandiert, auch die Leserkommentare sind selten zimperlich. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Presse scheint tief erschüttert zu sein.“

Nach diesem Einstieg ginge es hier auf „WiWo“ unter der Überschrift “Im Mustopf der Konsensdemokratie“ weiter im Text.

Auf Platz 6 habe ich dann etwas Richard Wagner im Angebotsregal stehen. David P. Goldman weist drüben bei “PJ Media“ auf einen Essay hin, der aus der Feder des Musikers Nathan Shields stammt und auf “Mosaic“ erschien:

„Bei Mosaic argumentiert Nathan Shields, dass sich Wagners Antisemitismus aus seiner Musik selbst ergibt – ganz anders als die übliche Ansicht, dass Wagner ein schlechter Mensch war, der wunderbare Musik geschrieben hat.“

Diesen Essay finden Sie hier unter dem Titel “Wagner and the Jews“.

Goldman meint, dass es “eine mutige und wichtige Sache“ sei, dies zu sagen. Aber auch: “Es gibt keinen Weg, Musik zu beurteilen, außer in musikalischen Verhältnissen, und das ist, wo Shields Essay mangelhaft ist: Wagner strebt nicht nach abstrakter musikalischer Reinheit, sondern eher nach einem perversen Wechsel der Art und Weise, wie sein Publikum die Musik seiner Vorgänger hörte.“

An dieser Stelle verweist Herr Goldman auf einen eigenen Essay, den er über Wagner geschrieben hat. Daraus übersetzt diese Passage:

“Wagner war mehr als ein Musiker. Er war der Prophet eines neuen künstlerischen Kults, ein selbststilisierter Dichter und Dramatiker, der glaubte, dass sein ‘Gesamtkunstwerk‘ Europas entnervte Religion ersetzen würde. Seine neue zeitliche Ästhetik diente einem größeres Ziel: die Befreiung der Impulse von den Fesseln der Konvention. Wagners kompositorischer Ansatz bildet eine Einheit mit seinen Schriften über Musik, die vor antinomistischen Angriffen auf die Tyrannei der musikalischen Form bersten. Er verbindet klassische Form mit der Tyrannei der Konvention und den verachteten biblischen Gott.

‘Wagners Heldinnen, sobald man nur erst den heroischen Balg abgestreift hat, sehen Madame Bovary zum Verwechseln ähnlich‘, schnaubte Nietzsche. Der leidenschaftliche Impuls, der durch die Konvention bricht, setzt einen Weg in den Tod fest. Die Seele brennt aus, wenn sie alles auf den Impuls des Augenblicks setzt. Wagners Frauen sind die mythologischen Cousinen ersten Grades von Emma Bovary, Anna Karenina, Effi Briest und ihren Schwestern in der Literatur des späten neunzehnten Jahrhunderts. Alle von Wagners Frauen, mit Ausnahme von des Meistersingers harmloser Eva, sterben für die Liebe. … Die Oper ist nicht vorüber, bis die fette Dame stirbt.“

Hier sollte ich evtl. erklären:

Herr Goldman übt sich hinsichtlich Wagners Heldinnen und deren diversen Erlösungs-Tode am Ende der Stücke in einem Wortspiel, insofern er aus dem eigentlichen geflügelten Wort “The opera ain’t over until the fat lady sings“ (wortwörtlich: Die Oper ist nicht vorüber, bis die fette Dame singt — sinngemäß in etwa: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen bzw. Das ist noch nicht das Ende vom Lied) ein “The opera’s not over ’til the fat lady dies“ macht. Eben: “Die Oper ist nicht vorüber, bis die fette Dame stirbt.“

Blitzsaubere Beobachtung, Herr Goldman!

Wie dem auch sei:

“Aber Wagner gibt uns viel mehr als Madame Bovary mit einem Hollywood-Score oder, besser gesagt, die Urschablone für die besten Scores, die Hollywood erfinden würde. Er gibt uns Emma Bovary nicht als provinzielle Ehebrecherin und Verschwenderin, sondern Emma Bovary als Miterlöserin, nicht an Gift, sondern an einem erotischen Elixier sterbend, nicht um ihre Eitelkeit zu befriedigen, sondern um die Menschheit (oder zumindest dessen männliche Hälfte) von dem unterdrückenden Bund des jüdischen Gottes zu retten. Flaubert stellte Emmas Oberflächlichkeit bloß und machte ihren Tod grotesk; Tolstoi empfand mit Anna Karenina als Opfer auf dem Altar der Toleranz. In ihren Leidenschaften und Toden erheben Wagners Frauen dagegen erotischen Genuss auf den Status eines kosmischen Prinzips, getragen durch eine Musik, die vorgibt, den höchsten Augenblick in eine Ewigkeit zu erweitern – was der Wagnerianer Baudelaire als erster das “ozeanische Gefühl“ nannte. Im Gegensatz zu Flaubert oder Tolstoi schmeichelt Wagner seinem Publikum mit der Einbildung, dass ihre libidinösen Impulse in Resonanz mit dem Willen der Welt stehen, und dass ihre kleinlichen Leidenschaften die gleichen kosmischen Bedeutungen haben wie die Isoldes oder Kundrys.“

Goldmans überaus souveräner Wagner-Essay, welcher “Why We Can’t Hear Wagner’s Music” betitelt ist, erschien hier auf “First Things“.

“Was Shields eigene Musik angeht”, schreibt Goldman am Ende seines “PJ-Media”-Hinweises: “Für jene, die diese Art von Sache mögen, ist es genau die Art von Sache, die sie mögen würden. Man kann ihm nicht vorwerfen, nicht nach abstrakter musikalischer Reinheit zu streben.“

Nachzuhören wäre das hier.

Auf Goldmans Hinweis traf ich wiederum hier.

Auf Platz 5 wird uns endlich verheißen: “Der Westen geht unter, aber das Leben geht weiter“.

So geht’s los:

„‚Wir glauben, dass unsere Zivilisation kurz vor dem Zusammenbruch steht.‘ Mit diesem Bekenntnis eröffnen zehn wissenschaftlich und wirtschaftlich erfolgreiche christliche Professoren ihr gerade erschienenes Kollektiv-Werk ‚Höllensturz und Hoffnung‘. Es handelt sich dabei durchaus nicht um ein weiteres Stück jener auf Computer-Hochrechnungen beruhenden Warnungen vor dem angeblich nahenden Weltuntergang, derer wir langsam, aber sicher überdrüssig werden, sondern um eine durchaus umsichtige und seriöse Krisendiagnose durch Mediziner, Wirtschaftswissenschaftler, Physiker, Informatiker, Juristen und Theologen. Die Professoren wollen nicht einfach die Unmäßigkeit der modernen Menschen anprangern, sondern die inneren Zusammenhänge aufdecken, die dazu führen, dass es den Westen schon bald nicht mehr geben wird, während das Leben auf dem Planeten weiter geht.“

Wie’s in der Buchvorstellung weiter geht, das erfahren’S hier.

Auf Platz 4 mach ich’s knapp und gebe Ihnen kurz und schmerzlos ein paar Artikel und Meldungen zu Finanzen und Wirtschaft an die Hand, die ich näher betrachtete:

The Great Fallacy at the Heart of Modern Monetary Theory;

The Strong Dollar Rests on Pillars of Sand;

John Williams: 2015 – Dollar im Abwärtslauf;

Goldman Says JPMorgan Should Break Itself Into Pieces;

China hebt Exportbeschränkung für Seltene Erden auf;

Energy Sector Outlook for 2015;

Top Five Factors Affecting Oil Prices In 2015.

Auf Platz 3 nehmen wir Spezifisches der Rubrik “Ost im Vergleich zu West“ unter die Lupe.

Ost:

Die Nachrichtenagentur Tasnim meldet, dass der Iran und Russland ihre nationalen Stromnetze über eine Transmissionslinie verbinden wollen, die durch Aserbaidschan verlaufen soll. Die 260 Kilometer lange Strecke in Aserbaidschan soll bis März fertig sein.

Das lesen Sie hier.

West:

Laut einem geheimen Regierungsbericht, über den der konservative “Telegraph“ berichtet, ist Großbritannien gegenüber schweren Energie-Blackouts völlig unvorbereitet. Konsequenzen einer längeren Stromunterbrechung wären, so bringt der Report (“codenamed Exercise Hopkinson“) vor: steigende Todesraten, wachsende öffentliche Unruhen und Hochrisikokriminelle auf freiem Fuß. Die Pläne, die für solche Notfallsituationen bestehen, “gründen auf zahlreiche Fehler oder ungetestete Annahmen und müssen überarbeitet werden“.

Das lesen Sie hier.

Auf Platz 2 sagt der hochgeachtete Anthropologe Wade Davis gegenüber “The Daily Bell“:

„Man könnte Drogen morgen legalisieren und der Verbrauch würde nicht nach oben gehen. Ich habe noch nie jemanden in 40 Jahren getroffen, dessen Entscheidung, illegale Drogen zu verwenden oder nicht, etwas mit ihrem Rechtsstatus zu tun gehabt hätte. Wenn die Leute heute Drogen verwenden wollen, können sie sie nehmen.“

Davis urteilt über den “War on Drugs” insgesamt, dass dieser ein “vorhersehbarer Fehlschlag“ sei.

Darüber hinaus teilt Davis in dem Interview mit, was er bei eingeborenen Völkern lernte, und hebt hervor, dass „der eigentliche Beitrag der indigenen Völker auf der ganzen Welt im Allgemeinen die Tatsache (ist), dass sie ganze andere Optionen für das Leben selbst als eine soziale Spezies repräsentieren.

Die interessante Sache, die passiert, ist, dass die zentrale Offenbarung der Anthropologie der Kulturrelativismus ist, was nur die Idee ist, dass andere Völker der Welt keine Fehlversuche sind, Sie zu sein. Jede Kultur ist eine einzigartige Antwort auf die grundlegende Frage, was es bedeutet, menschlich und lebendig zu sein. Wenn die Völker der Welt antworten, tun sie dies in 7.000 verschiedenen Stimmen.

Ironischerweise hat die Genetik dies in dem Sinne als völlig richtig erwiesen, dass im Laufe der letzten 30 Jahre die Genetiker die Rasse als eine völlige Fiktion zeigten. … Wir sind alle aus dem gleichen genetischen Holz geschnitzt. Wir sind alle Nachkommen der Handvoll Menschen, die vor rund 65.000 Jahren aus Afrika fortgingen… (W)enn man die wissenschaftliche Wahrheit, dass wir alle des gleichen Stoffes sind, akzeptiert, folgt daraus, dass jede Kultur das gleiche Genie teilt. …

Was das wirklich am Ende bedeutet, ist, dass jede Kultur etwas zu sagen hat, und jeder verdient es, gehört zu werden. Wenn Sie Erfolg strikt an technologischen Errungenschaften messen, kommt dabei natürlich der Westen an der Spitze stehend heraus. Aber wenn Sie auf andere Werte schauen, können Sie sehen, dass wir viel von anderen Kulturen zu lernen haben, so wie sie viel von uns zu lernen haben.

Das setzt den Konsens in der Linguistik-Community, dass die Hälfte der Sprachen der Welt in einer Generation verschwinden wird, in eine eher eindringliche Perspektive, denn das bedeutet, per Definition, dass die Hälfte des intellektuellen, sozialen, geistigen und ökologischen Wissens der Menschheit in einer einzigen Generation verloren geht.“

Lesen Sie hier mehr in dem wahrlich faszinierenden Interview.

Mit dieser weitschweifigen Einstimmungslektüre zum Thema Drogen können Sie sich sodann hier der “marxistischen Sicht des Drogenhandels“ widmen. Guter Text!

Und auf Platz 1 rangiert eine historische Frage aktuellen Bezugs:

War die Schlacht von Waterloo die erste Nato-Operation?

Ein irischer Historiker verortet die Wurzeln der Nato in den Kämpfen gegen Napoleon und die Errungenschaften der französischen Revolution.

„Ein einzigartiges Gedenkprogramm, das sie bestimmt nicht verpassen dürfen“ – mit dieser Botschaft wird vom 18. – bis 20. Juni zum großen Reenactment in das belgische Örtchen Waterloo in der Nähe von Brüssel eingeladen. An drei Tagen im Juni soll die Schlacht nachgespielt werden, die vor 200 Jahren die endgültige Niederlage Napoleons bedeutete. Doch jenseits solcher Reenactmentspielen wird schon zu Beginn des Jubiläumsjahrs versucht, aus der Schlacht von Waterloo Sinnstiftendes für die Gegenwart herauszudeuten.

Welche Lehren liefert uns die Schlacht von Waterloo für die heutige EU, fragt der in Cambridge lehrende irische Historiker Brendan Simms. Am Wochenende wurde der Text erstmals in der Taz auf Deutsch veröffentlicht.

Gleich im ersten Absatz macht der Historiker klar, was er mit der eigenwilligen Geschichtskonstruktion bezweckt:

Die letzten Jahre waren keine guten für die deutsch-britischen Beziehungen. Großbritannien und Deutschland sind über die Zukunft der Europäischen Union wiederholt aneinandergeraten. Ein robuster auftretendes London und ein vorsichtiges – sogar versöhnliches – Berlin bleiben weit auseinander in der Frage, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, die so verschieden sind wie der IS im Nahen Osten oder Russland unter Wladimir Putin.

Dann greift Simms zurück in die Zeit, als im 19. Jahrhundert „britische und deutsche Liberale vereint in Opposition zur zaristischen Autokratie und im Glauben an den Fortschritt standen“ und „Respekt vor deutscher Gelehrsamkeit oder Musik“ in Großbritannien weit verbreitet waren. Dass damals Menschenrechte ein Fremdwort in diesen Regionen waren und Oppositionelle schnell im Kerker landeten, ist Simms keine Rede wert.

Etwas weiter im Text heißt es:

Dass der Historiker nun aber in dem antinapoleonischen Bündnis, das das Ziel hatte, möglichst alle Errungenschaften der französischen Revolution rückgängig zu machen und die alten Verhältnisse wieder herzustellen, als erste Nato-Operation darstellt, gibt den Natokritikern recht.

Die haben das Militärbündnis häufig mit dem Attribut konterrevolutionär belegt und jetzt stellt es ein vehementer Natoverteidiger freiwillig in den historischen Kontext der Bewegung gegen die französische Revolution. Da braucht man nur Simms selbst zu Wort kommen zu lassen:

Während der Revolution und der Napoleonischen Kriege erreichte diese Beziehung eine neue Intensität. Frankreich repräsentierte eine existenzielle strategische und ideologische Bedrohung für beide Seiten der Erbgüter von Georg III. Napoleons Ambitionen auf dem Kontinent waren unvereinbar mit der Unabhängigkeit Großbritanniens und der Integrität des Kurfürstentums.

Dabei ist dem Historiker schon klar, dass es vor allem die herrschenden Feudalmächte und der Klerus waren, die in de französischen Revolution und der Schrumpfform davon, die unter der Napoleonischen Ägide in anderen Ländern verbreitet wurden, bedroht sahen. Große Teile der Unterklassen sahen in der Französischen Revolution und anfangs auch noch in den Kriegen Napoleons eine Hoffnung auf Minderung der Unterdrückung und der Anbruch einer neuen Zeit.

Große und auch begründete Hoffnungen setzten vor allem die in allen europäischen Ländern drangsalierten Juden auf den Vormarsch Napoleons. Dadurch erlangten sie die Bürgerrechte. Diese napoleonische Errungenschaft kommt bei Simms überhaupt nicht vor. Sonst könnte er ja auch nicht sein Dogma durchhalten, dass Napoleon der Usurpator und Zerstörer Europas war, dem sich die alten Mächte schließlich so entgegen stellten, wie es Simms sich heute im Kampf gegen Putin und den IS wünscht.

Den ganzen Artikel von Peter Nowak vermögen Sie sich hier auf die Augen zu drücken.

Zuletzt noch das Musikstück der Woche: JACK STEADMAN – Cheating.

In dem Sinne, ganz der Ihre,

Lars Schall.

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