Die Woche im Rückspiegel betrachtet

Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.

Von Lars Schall

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.

Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…

TOP 10-LINKS DER WOCHE

Auf Platz 10 geht’s um Geschichten. Da wäre die, welche uns in den Evangelien zu Judas Ischariot erzählt wird und nicht wirklich aufgeht, wie Amos Oz in einem Interview zu seinem neuen Roman “Judas“ befindet:

“Die Geschichte von Jesus hat mich schon fasziniert, bevor ich als Kind zum ersten Mal das Neue Testament las, und insbesondere Jesus‘ Beziehung zu Judas erschien mir immer als sehr rätselhaft. Mein Großonkel Joseph Klausner, ein seinerzeit sehr bekannter Religionswissenschaftler, vertrat die Ansicht, dass Jesus als Jude geboren und gestorben sei, und ich habe in all den Jahren meines inzwischen langen Lebens nie eine Erklärung dafür gefunden, weshalb Judas ihn verraten haben soll. Warum sollte ein mehr oder weniger wohlhabender Mann aus Judäa für dreißig Silberstücke einen Verrat begehen? Ein Betrag, der heute vielleicht 800 Euro entsprechen würde. Weshalb musste Judas Jesus durch einen Kuss identifizieren, wenn ganz Jerusalem wusste, wie er aussah, nachdem er dort gepredigt hatte? Die Geschichte kam mir also immer irgendwie unglaubwürdig vor, aber sie hat mich nie losgelassen, weil Judas in gewisser Weise das Tschernobyl des Antisemitismus verkörpert.“

Befragt, welche Fragen nach fünfzig Jahren des Schreibens nach wie vor ungelöst blieben, antwortet Oz:

“Die entscheidende Frage, auf die ich noch immer keine Antwort finde, ist die nach dem Ursprung des Bösen. Überall um mich herum sehe ich Grausamkeit – in der Geschichte, in der Nachbarschaft, manchmal sogar innerhalb einer Familie. Ich versuche, diese Grausamkeit zu entschlüsseln, aber ich finde keine Antworten, abgesehen von meiner klaren Gewissheit, dass das Böse existiert. Aber weshalb? Woher kommt es? Die Wissenschaften lehren uns, dass das Böse von Armut und Existenznot herrührt, von einer schwierigen Kindheit oder einer komplizierten Psychologie und emotionalen Wunden. Dies wissen wir von Marx und Freud, von Max Weber und allen möglichen anderen Denkern. Aber ich bin nicht überzeugt. Ich habe den Eindruck, dass in vielen, wenn nicht in allen von uns ein Gen des Bösen existiert, das nicht durch unser soziales Umfeld bestimmt wird, durch das Leid, das wir als Kinder erfahren haben oder durch andere äußere Einflüsse. Diese Frage beunruhigt mich, ja. Die Frage nach den Ursprüngen des Bösen belastet mich sehr, und ich weiß nicht, ob ich jemals eine befriedigende Antwort darauf finden werde, zumal jede Antwort neue Fragen aufwirft und es in dieser Welt ohnehin mehr Fragen als Antworten gibt.“

Das ganze Interview mit Amos Oz können Sie sich hier auf die Augen drücken.

Zum Thema des Judas las ich übrigens einmal ein interessantes, hiermit von mir empfohlenes und hier auffindbares Buch aus der Feder eines Walter Jens.

Eine etwas surreal anmutende Geschichte, die nach einer Verfilmung schreit, wird im “SZ“-Magazin über Jessamyn Lovell erzählt, die Kunst und Kunstgeschichte an der University of New Mexico in Albuquerque lehrt.

“Der Amerikanerin Jessamyn Lovell wird der Ausweis gestohlen. Dann begeht die Diebin in ihrem Namen Verbrechen. Lovell verfolgt die Diebin, fotografiert sie – und macht daraus ein ungewöhnliches Kunstprojekt.“

Mehr dazu hier.

Auf Platz 9 folgen ein paar Rollen rückwärts. In der vergangenen Woche machte ich auf neulich veröffentlichte Transkripte der Federal Reserve aufmerksam, die das Jahr 2009 betreffen – dem Jahr, in dem es zur Einführung der “Quantative Easing“-Politik kam.

Gretchen Morgenson hat sich die Transkripte angeschaut und berichtet über die “faszinierende Lektüre“ unter der Überschrift “At the Fed in 2009, Rolling the Dice in a Crisis” hier für die „NY Times“.

Letzte Woche landete auf Platz 8 eine Nachricht über die NASA, die die Intention verfolgt, mit den Unternehmen SpaceX und Boeing bis 2017 soweit zu sein, selbstständig Astronauten zur internationalen Raumstation ISS fliegen zu können. „Bis dahin“, so schrieb ich, “müssen die US-Astronauten mit russischen Raketen an Ort und Stelle gebracht werden.“

Mehr zur NASA-Abhängigkeit von Russland kam nun vor dem US-Kongress zur Sprache – wie Sie sich hier informieren können.

Im Wochenrückspiegel, der am 8. Juni 2014 online ging, wies ich auf eine Veranstaltung hin, die für den 28. – 29. Juni im kalifornischen San Mateo zum Thema Secret Space Program angekündigt war. Auf Catherine Austin Fitts‘ “Solari“-Website kann man sich nunmehr die Präsentationen, die dort über die Bühne gingen, hier zu Gemüte führen.

Auf Platz 8 betreten wir die Medien-Ecke.

Zum Problem, das Vertreter des “Qualitätsjournalismus“ mit dem haben, was sich im Internet tummelt, gibt’s hier und hier Beachtenswertes auf der “Ceiberweiber“-Website.

Weiters gäbe es:

Wie gegen unabhängige Medien vorgegangen wird;

Medienberater Klaus Eck zu Leserdialogen: „Journalisten wollen in der Regel nicht mit Lesern sprechen“;

Mainstream Reporting Evaporates.

Unter der Woche war vom ersten Chefredakteur von ARD-Aktuell, Kai Gniffke, zu erfahren:

„Die Tagesschau bietet eine Dienstleistung für all die Menschen, die nicht die Zeit oder die Muße haben, sich durch diesen Informationsdschungel des Internets und der verschiedenen Angebote zu wühlen. Unser Kriterium heißt Relevanz. Wer die Tagesschau guckt, sollte nach dem Ende der Sendung erfahren haben, welche Entwicklungen in der Welt heute, an diesem Tag wichtig waren.“

Ferner sagt er: “Bei der gebotenen Verdichtung von Informationen für einen kurzen Nachrichtenbeitrag können nicht in allen Beiträgen alle Hintergrundinformationen geliefert werden.“

Aha, wenn ich’s recht verstehe: TV-Nachrichten wenden sich ergo mehr an die “glaubensorientierte Community“, die ihre “Info-Häppchen“ gerne mundgerecht zurechtgeschnitten bekommt. Kein Wunder, dass vor den Fernsehgeräten mittlerweile vor allem Kleinkinder und Senioren hocken.

Zitiert wurde Herr Gniffke hier.

“Warum spielt die Friedensbewegung keine Rolle in den Leitmedien?“ ist die Überschrift zu einem Vortrag, den “krosta.tv“ von “Alphajournalismus“-Forscher Dr. Uwe Krüger bringt. Der Vortrag wurde im Rahmen der Münchener Friedenskonferenz am 5.2.2015 aufgezeichnet. Krüger stellt darin Befunde aus seinem Buch “Meinungsmacht” vor – und zwar hier.

Sodann folgt hier ein Artikel der Kategorie “Beta-Journalisten im Kindergarten“ hinterdrein.

Da dort von Frauen und Feminismus geschrieben wird, bring ich hier einen Beitrag aus dem Sport-Ressort (!) der “Welt“, der “die Frau von heute“ endlich einmal deutlich zu Worte kommen ließ: „Ich will zeigen, dass ich nicht nur oberflächlich bin“…

Ein paar statistische Informationen zu belanglosen, aber erfolgreichen Plaudertaschenrunden, die im Flimmerkasten “Talk-Shows“ genannt werden, warten hier auf Sie.

Auf Platz 7 tritt uns “Gefährliche Propaganda“ entgegen, ein Bericht auf “German Foreign Policy“:

“Das Bundeskanzleramt wirft dem Oberbefehlshaber der NATO in Europa, Philip M. Breedlove, ‚gefährliche Propaganda‘ vor. Das berichtet ‚Der Spiegel‘ in seiner aktuellen Ausgabe. Demnach stellt Breedlove der Bundesregierung zufolge die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ostukraine völlig überzogen dar; er behaupte etwa, russische Panzer und Raketenwerfer in der Ukraine wahrgenommen zu haben, die der Bundesnachrichtendienst (BND) auf seinen eigenen Satellitenbildern nicht habe erkennen und über die er selbst von den verbündeten US-Diensten nichts habe erfahren können. Auch Breedloves Zahlenangaben über russische Truppen an der Grenze zur Ukraine seien weit übertrieben gewesen. Derlei Propagandatechniken hat auch die Bundesrepublik immer wieder angewandt, exemplarisch im Jugoslawien-Krieg des Jahres 1999. Die Regierungs-Kritik an Breedlove, über die ‘Der Spiegel‘ berichtet, ist dabei Ausdruck strategischer Differenzen zwischen Washington und Berlin: Das deutsche Bemühen um eine ‘Doppelstrategie‘ gegen Russland nach dem Vorbild des westlichen Vorgehens im Kalten Krieg ist mit einer ungezügelten Aggressionspolitik, wie sie ein Flügel des US-Establishments vertritt, nicht wirklich vereinbar. Breedlove, den die Berliner Vorwürfe treffen, ist ein Vertreter dieses Flügels.“

Näheres dazu hier.

Auf der Website des “Spectator“ legt Peter Hitchens hier nahe “It’s Nato that’s empire-building, not Putin“.

Der Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tank STRATFOR (Abkürzung für Stategic Forecasting Inc.), George Friedman, ist hier auf einer Veranstaltung des Chicago Council on Global Affairs über die geopolitischen Hintergründe der gegenwärtigen Ukraine-Krise und globalen Situation insgesamt zu hören.

Die anti-amerikanische Stimmung scheint im heutigen Russland ausgeprägter, als dies zur Zeit der Sowjetunion der Fall war – worauf ich hier stieß.

WhoWhatWhy befasst sich in einem Interview mit Wladimir Putin und der Leichenreihe Sergei Magnitsky, Alexander Litvinenko, Anna Politkovskaya und Boris Nemtsov. Interview-Gast: Bill Browder – nachzuhören hier.

Zuletzt in Sachen Russland: “US plan to drop Russia from global banking system hilariously backfires”.

Auf Platz 6 lesen wir:

“CIA-Million landet bei den Taliban. Der amerikanische Geheimdienst CIA schleust jahrelang Bargeld nach Afghanistan. Mit dem Geld soll die Regierung von Präsident Karzai unterstützt werden. Doch ein großer Teil des Geldes landet ausgerechnet beim Erzfeind.“

Dies lesen wir hier.

Außerdem schließt Ex-NSA-Chef Michael Hayden aus, dass das devote D-land je Mitglied im Five Eyes-Spionageclub wird – siehe hier.

Nachdrücklich ans Herz legen möchte ich Ihnen John W. Whiteheads Kommentar “How DNA Is Turning Us Into a Nation of Suspects“, hier dieser Tage auf der Website der Bürgerrechtsorganisation The Rutherford Institute erschienen.

Auf Platz 5 rangieren zwei Tech-Artikel:

Striking the Balance on Artificial Intelligence” von Cecilia Tilli auf “Slate”,

und:

Why Robots Will Be The Biggest Job Creators In World History” von John Tamny auf “Forbes”.

Auf Platz 4 ist ein zweiteiliger Artikel von James DiEugenio über Ben Bradlee anzeigenswert, der auf Robert Parrys “Consortiumnews“ veröffentlicht wurde – “Ben Bradlee’s Not Such ‘A Good Life’”.

„Washington Post-Redakteur Ben Bradlee, dessen Memoiren den Titel ‘A Good Life‘ trugen, wird von vielen als hart redender, Köpfchen besitzender Journalist erinnert. Aber das Ansehen war mehr Image als Wahrheit, insofern der wirkliche Bradlee ein Establishment-Insider war, der Geheimnisse zu bewahren wusste, schreibt James DiEugenio“ – und das tut er hier und hier.

Auf Platz 3 machen wir uns auf in chinesisches Terrain.

Erstes Thema: Großbritanniens Beitritt zur chinesisch geführten Asian Infrastructure Investment Bank.

Wenn die “BRICS Post“ dergleichen hier schreibt (UK snubs US to join China-led Asian bank), ist’s das eine; wenn Martin Wolf von der “Financial Times“ hier quasi hochamtlich darüber redet (Martin Wolf on US-UK row over China), schon etwas gewichtigeres. Vor allem seine abschließenden Vermutungen haben es in sich.

Zweites Thema: das internationale Zahlungssystem zur Abwicklung von grenzüberschreitenden Yuan-Transaktionen, genannt China International Payment System (CIPS), dürfte gen Ende des Jahres an den Start gehen – wie Reuters hier berichtet.

Eine bemerkeswerte Werbung zum Yuan / Renminbi begrüßt die Flughafengäste in Bangkok. Sie besagt: “RMB: New Choice; The World Currency” – wie Sie sich hier überzeugen können.

Drittes Thema: China und das Gold. Koos Jansen war wieder äußerst fleißig, was den Sachverhalt angeht. Lesen Sie bei Interesse:

How The World Is Being Fooled About Chinese Gold Demand,

und:

The Mechanics of the Chinese Gold Market.

Auch interessant: „This is why bitcoin won’t go away anytime soon“.  Zitat daraus:

„Ungefähr 80 Prozent des Bitcoin-Volumen wird vom chinesischen Yuan getrieben, wie aus Daten von Goldman Sachs hervorgeht“…

Schauen’S hier.

Auf Platz 2 berichtet Ambrose Evans-Pritchard, dass dem globalen Finanzsystem ein “$9-Billionen-Stresstest” durch den steigenden US-Dollar bevorsteht. Da die Welt mehr denn je von US-Dollar durchdrungen ist, ist sie letztlich auf Gedeih und Verderb der Federal Reserve ausgeliefert.

In seinem Artikel verweist AEP auf ein “trockenes Papier“ der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, das in der Finanzwelt die Runde mache, Titel: „Global dollar credit: links to US monetary policy and leverage“.

“Es zeigt, wie die Nullzinssätze und Quantitative Lockerung der Fed die Schwellenländer mit Dollar-Liquidität in den Boomjahren überschwemmten“, was zu einer Verschuldungsorgie in US-Dollar führte. Wesentliches Problem: “Entgegen der landläufigen Meinung ist die Welt heute mehr als je zuvor von Dollar durchdrungen. Ausländer haben 9 Billionen in der US-Währung außerhalb der amerikanischen Gerichtsbarkeit geliehen und deshalb ohne den Schutz eines Kreditgebers der letzten Instanz, der in der Lage ist, unbegrenzte Dollar in extremis zu emittieren.“

Zum Vergleich: im Jahre 2000 waren es noch 2 Billionen US-Dollar, den die Schwellenländer an US-Dollar-Schulden aufgenommen hatten.

Für den Rest des Artikels “Global finance faces $9 trillion stress test as dollar soars“ sind Sie hier richtig.

Und auf Platz 1 dürfte diese Nachricht höhere Ölpreise in der Zukunft verheißen, namentlich dass ein hochrangiger Vertreter von Saudi Aramco schätzt, dass der rapide Fall der Energiepreise „bereits viele in der Branche dazu veranlasst habe, die Ausgaben für Öl- und Gasprojekte zu kürzen, und der Trend werde sich wahrscheinlich für ein paar Jahre fortsetzen, vielleicht einen Investitionsschnitt von bis zu 1 Billion Dollar erreichend“, schreibt Andy Tully für OilPrice.com.

„‘Die Herausforderungen im Verlaufe von Abwärtszyklen sind heute komplizierter als zuvor‘, sagte Amin Nasser, Senior Vice President für Exploration und Entwicklung bei Saudi Aramco, auf der Middle East Oil and Gas Show am 9. März in Manama, Bahrain.

‘In diesem Moment könnte die globale Industrie bereit sein, möglicherweise über 1 Billion Dollar an Kapitalausstattung zu canceln‘, sagte Nasser.“

Die fehlenden Einnahmen, die sich aus dem abgestürzten Ölpreis für die Energiefirmen ergeben, haben deren Profite geschmälert – “was sie zu Kostenkürzungen in vielen Weisen führte, einschließlich Mitarbeiterentlassungen.“

In einem Bericht der Arab Petroleum Investment Corp, ansässig in Riad, hieß es vor vier Monaten, dass für den Zeitraum 2015 – 2019 ein Investitionsrückgang von 127 Milliarden US-Dollar in Saudi-Arabien zu erwarten stünde.

Mehr Details zu Projekten, die sich bei Saudi Aramco verzögern oder auf der Kippe stehen, finden Sie hier vor.

Zuletzt noch das Musikstück der Woche: CHARLIE PARKER – Now’s The Time.

In dem Sinne, ganz der Ihre,

Lars Schall.

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