Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 legen wir los mit “Täuschung – Die Methode Reagan“, eine Dokumentation von Dirk Pohlmann, die vergangenen Dienstag um 23:00 Uhr bei ARTE lief und von mir daselbst in Augenschein genommen wurde.
Fragt man in der Öffentlichkeit nach den Gründen für den Niedergang der UdSSR, vernimmt man zumeist ein ungefähres Raunen, in dem Worte wie “Kommandowirtschaft“ und “Wettrüsten mit den USA“ vorkommen. Dass es ein zentrales Instrument der US-Regierung im Weißen Haus unter Ronald Reagan gab, um die Sowjetunion in die Knie zu zwingen, vernimmt man dagegen eher selten bis nie. Und doch gab es solch ein Bindeglied zwischen Politik, Militär und Geheimdiensten, das “Komitee für Täuschungsoperationen“ (“Deception Committee“), geleitet von Reagans CIA-Chef William Casey. Eine Aktivität war, die Sowjets durch die US Navy und US Air Force in Katz-und-Maus-Spiele vor der sowjetischen Haustür zu verwickeln und Übungen zum atomaren Erstschlag vorzugaukeln – was teilweise ein “Va banque-Spiel mit dem 3. Weltkrieg“ war (Stichwort “Able Archer“). An der wirtschaftlichen Front sorgte man derweilen für einen Rückgang der Haupteinnahmequelle der Sowjets: auf Veranlassung der USA drehten die Saudis den Ölhahn kräftig auf, um den Ölpreis in den Keller schlittern zu lassen. Herbert E. Meyer, damals Sonderberater des CIA-Chefs, räumt vor Pohlmanns Kamera ein: “Wir sorgten dafür, dass die Sowjets weniger Öl und Gas nach Europa liefern konnten. Das war ihre Haupteinnahmequelle. Also haben wir ihnen den Geldhahn zugedreht. Mit Unterstützung der Saudis konnten wir den Ölpreis senken. Das schädigte ihre Wirtschaft. Es war gut für uns, aber schlecht für sie.“
Hauptaugenmerk der Dokumentation von Dirk Pohlmann ist die Torpedierung des “Dritten Wegs“ eines Olof Palme. Bemerkenswert: bezüglich des Mordes an Palme sagt Mikhail Gorbatschow, dieser sei ein “politischer Mord“ gewesen, der “nicht durch Zufall“ geschah. Palmes Vision habe “mächtige Interessen gestört“, und es gäbe “Gruppen, die nicht daran interessiert sind, dass es eine bessere Welt gibt.“
Wiederholungen von “Täuschung – Die Methode Reagan“ gibt es am Dienstag, den 12.05., und am Montag, den 18.05. um jeweils 8:55 Uhr.
Weitere Details zur Dokumentation stehen hier auf “Ceiberweiber“ bereit.
Auf Platz 9 steht zunächst ein Report des Council on Foreign Relations (CFR), der den Titel “Revising U.S. Grand Strategy Toward China” trägt und von Robert D. Blackwill und Ashley J. Tellis geschrieben wurde.
Richard N. Haass, der Präsident des CFR, betont in seiner Einleitung, dass „keine Beziehung von mehr Bedeutung sein wird, wenn es ums Definieren des einundzwanzigsten Jahrhunderts geht, als die zwischen den Vereinigten Staaten und China.“ Der CFR-Präsident bringt vor, dass der Report „verdient, ein wichtiger Teil der Debatte über die US-Außenpolitik und die sich verlagernden amerikanisch-chinesischen Beziehungen zu werden.“ Dem Report zufolge, so Haass, werde es “sehr wahrscheinlich, wenn nicht unvermeidlich“ eine “strategische Rivalität“ zwischen beiden Mächten geben. In der Tat argumentieren Blackwill und Tellis, dass die Phase der “Zusammenarbeit“ mit China wahrscheinlich einem „intensiven … strategischen Wettbewerb“ weichen müsse. Die Autoren schreiben, dass Chinas nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg der letzten dreißig Jahren es dem Land ermöglichte, jene Nation zu werden, die am meisten befähigt sei, den asiatischen Kontinent zu dominieren – womit sie “das traditionelle geopolitische Ziel der USA, dass diese Arena von hegemonialer Kontrolle freibleibt, untergräbt.“
Der Bericht stellt China als chauvinistische Macht hin, indem er zum Beispiel den Historiker Wang Gungwu zitiert, wonach Pekings Außenpolitik der “geheiligten Tradition“ folge, andere Nationen alle gleich zu behandeln – aber eben als ungleich und weniger wert im Vergleich zu China. “Im Einklang mit diesem Grundsatz hat Henry Kissinger, das traditionelle sinozentrische System beschreibend, richtigerweise darauf hingewiesen, dass China ‘sich in einem gewissen Sinne als alleinige souveräne Regierung der Welt betrachtet. ‚“
Der CFR-Bericht fordert: „Die Vereinigten Staaten sollten in Verteidigungsfähigkeiten und gezielt in Kapazitäten investieren, um Chinas aufstrebende Anti-Zugriffsfähigkeiten zu besiegen und eine erfolgreiche US-Machtprojektion selbst gegen konzertierten Widerstand aus Peking zu ermöglichen.“ Vom US-Kongress wird erwartet, dass er tunlichst den US-Verteidigungshaushalt “wesentlich erhöhen“ soll. Weiters wird sich für das Handelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership) und eine Zugangsbegrenzung Chinas zu fortschrittlichen Waffentechnologien ausgesprochen.
Was mir an dem ganzen Report seltsam und langweilig erscheint, ist die Tatsache, dass die Asian Infrastructure Investment Bank lediglich einmal beiläufig am Rande erwähnt wird, während die transkontinentalen und maritimen Infrastrukturprojekte der Chinesen für die Autoren nicht einmal zu existieren scheinen. Die Studie enthält keine Diskussion darüber, wie sich andere internationale Akteure wie Deutschland und die EU strategisch in Richtung China und seinen Verbündeten in den BRICS verhalten werden.
Sie können den CFR-Report “Revising U.S. Grand Strategy Toward China” hier als PDF-Datei herunterladen.
Ebenfalls beachtenswert im Zusammenhang mit China in dieser Woche:
“Something’s brewing in Central Asia and the West ’needs to take this seriously‘”,
und:
Auf Platz 8 las ich dann in einem Artikel von Julia Harte vom Center for Public Integrity, dass mindestens 115 US-Militärangehörige seit 2005 im Zusammenhang mit Diebstahl, Bestechung und Vertragsmanipulationen im Zuge der Kriege in Afghanistan und Irak verurteilt wurden. Der von ihnen verursachte Schaden beträgt circa 52 Millionen US-Dollar. Der tatsächliche Schaden, der dem US-Steuerzahler in diesen Kriegen entsteht, geht tatsächlich aber in die Milliarden, wie Sie hier im Detail nachlesen können.
Auf Platz 7 befasst sich Matthew Kerkhoff mit der Psychologie, die ein Finanzartikel auslöst, der die reißerische Überschrift “A Crash Is Coming“ trägt – siehe hier.
Auf Platz 6 sticht uns ins Auge: “Der bekannte Moskauer Journalist Dmitry Kalinichenko hat es gut ausgedrückt: ‘Nur sehr wenige Menschen verstehen, was Putin zur Zeit tut. Und fast niemand versteht, was er in Zukunft tun wird. Egal wie seltsam das vielleicht wirkt, aber im Moment verkauft Putin das russische Öl und Gas nur für physisches Gold.‘“
Falls das etwas ist, das Ihnen wert dünkt, vertieft zu werden, wären Sie hier gut aufgehoben.
Auf Platz 5 übernimmt das “New Generation“-Kartell in Mexiko freigewordene Marktanteile im Drogengeschäft. Der mexikanische Staat attackierte in den letzten Jahren gezielt die Führung der Drogen-Kartelle. Binnen kaum weniger als einem Jahr wurden die Drogenbosse Joaquin „El Chapo“ Guzman, Hector Beltran Leyva, Vicente Carrillo Fuentes, Servando „La Tuta“ Gomez, Omar Trevino Morales und Nazario Moreno verhaftet oder getötet. Große Organisationen wurden im Endresultat so zersplittert, die führungslosen Gruppen kämpften untereinander, und aus einst fünf großen Kartellen entstanden viele kleine Gruppierungen. In dieser Fragmentierung liegen die Ursprünge des “New Generation”-Kartells, das sich auf den Verkauf von Kokain und Methamphetamine spezialisiert hat.
Antonio Mazzitelli, ein Repräsentant des U.N. Office on Drugs and Crime in Mexiko, weist darauf hin, dass die Fragmentierung einerseits in Form von Kämpfen um Territorien mehr Gewalt hervorbringt. Am erfolgreichsten werden andererseits jene Gruppierungen sein, die ruhig agieren: “Der erste Grundsatz für eine drogenverkaufende Organisation ist die Minimierung des Risikos, die Verwendung von Gewalt auf sehr versteckte Weise und das Arbeiten durch Korruption.“ Im Gegensatz zu den alten Kartellen greife das “New Generation“-Kartell den Staat direkt an, und die jungen Drogenbosse stellten ihr Geld und ihre Macht gerne zur Schau, auch wenn dies bedeute, dass der Staat entsprechend antworte. Guillermo Valdés, ehemals Direktor des mexikanischen Geheimdienstes, sagte diesbezüglich: “Das Drogengeschäft wird nicht verschwinden, weil wir solch eine große Nachfrage in den Vereinigten Staaten haben, aber das gibt keiner besonderen Gruppe Unsterblichkeit“. Das “New Generation“-Kartell habe das Ticket gelöst, der Feind Nummer Eins zu sein.
Mehr dazu hier.
Auf Platz 4 drehen sich die Dinge um Abkürzungen wie “JADE” (Joint Assistance for Deployment and Execution) und “ACOA” (Adaptive Course of Action), beides Erzeugnisse von DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) des Pentagon. Hierbei handelt es sich um Programme des US-Militärs, um Krisen im Innern der Vereinigten Staaten zu kontrollieren – wie Ihnen Brandon Smith hier näherbringt.
Auf Platz 3 wenden wir uns einem Redebeitrag von Brooksley Born zu, der früheren Chefin der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) in den USA, welche vor einigen Tagen an der “Finance & Society”-Konferenz in Washington DC teilnahm. Als Leiterin der CFTC war Born in der Clinton-Regierung allein auf weiter Flur, als es um die Regulierung des Derivatemarkts ging. Nach Angriffen, denen sie von Robert Rubin, Larry Summers und Alan Greenspan ausgesetzt war, schmiss Born den Job schließlich hin. Auf der “Finance & Society”-Konferenz sagte Born, dass von der Wall Street Milliarden an Dollar für Deregulierungslobbyarbeiten ausgegeben worden seien – begleitet wiederum vom irrigen Glauben, dass Märkte selbst-regulierend wären und Finanzfirmen in der Lage seien, sich selbst zu kontrollieren. Die Gefahren, so Born, wären seit Ausbruch der Finanzkrise indes nur noch größer geworden. Wieso, weshalb, warum – siehe hier.
Auf Platz 2 sagt uns US-Finanzanalystin Catherine Austin Fitts, warum sie Sorge trägt ob der Größe der globalen Schulden. “Ich mache mir Sorgen darüber, und ich denke immer noch, das die Chance für einen Zusammenbruch relativ klein ist, aber ich bin sehr besorgt über das Ausmaß der Gewalt, das heraufgehen wird, um mit den daraus resultierenden Spannungen umzugehen. Wenn man sich die Schulden ansieht, gilt es auf einige Sachen hinzuweisen. Eine ist, die Schulden sind sehr hoch, aber sie gabeln sich zwischen jenen, die in einer Währung Kredit aufnehmen, die sie drucken, und jenen, die in einer Währung Kredit aufnehmen, die sie nicht drucken. Das ist von großer Bedeutung für uns, weil bei einer weltweiten Konjunkturabschwächung eine Menge Leute Gelder in Dollar geliehen haben, und jetzt müssen sie es zur gleichen Zeit zurückzahlen, in der sie Dollar verdienen müssen.“
Das ist die Ausgangslage, von der aus Fitts die Gefahren in einem System behandelt, das davon lebt, dass in ihm ständig Schulden aufgenommen werden müssen – wie Sie hier im Video auf “USA Watchdog“ sehen und hören können.
Und auf Platz 1 gibt es schließlich Grund zur Freude: an der University of California in Berkeley wurde der Fund von bisher verloren geglaubten Kolumnen aus der Feder von Mark Twain bekanntgegeben, die dieser vor anderthalb Jahrhunderten geschrieben hatte, als er in San Francisco als Nachrichtenreporter arbeitete. Twain-Kenner Bob Hirst sagt, dass das “neues Zeug” sei, “selbst für Mark Twain-Fans”.
Es kommt vielleicht nicht alles, aber doch immer wieder mal etwas nach langer Zeit ans Tageslicht – wie Sie im Fall Twain hier ersehen können.
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: LUIZ HENRIQUE – Vivo Sonhando.
Você não vindo, não vindo, a vida tem fim.
Gente que passa sorrindo zombando de mim.
E eu a falar em estrelas, mar, amor, luar.
Pobre de mim que só sei te amar…
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.