Die Woche im Rückspiegel betrachtet

Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.

Von Lars Schall

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

willkommen bei Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.

Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…

TOP 10-LINKS DER WOCHE

Auf Platz 10 vollführe ich erst einmal eine Art Rolle rückwärts: Im Wochenrückspiegel vom 17 Mai wies ich auf Platz 9 darauf hin, dass das Pentagon Millionen von Dollar ausgibt, um bei Spielen der National Football League (NFL) mit Werbung für Militär und Patriotismus präsent zu sein.

Diese Woche las ich nun: “Klublogos werden von Jahr zu Jahr kriegslüsterner: Fröhlich war gestern. US-Teams trimmen ihre Vereinswappen nur noch auf Krawall. Aus einem gemütlichen Pinguin wird ein aggressiver Raubvogel, ein Biber wird zur Kampfmaschine.“

Hier können Sie sich Bilder des Trends ansehen.

Auf Platz 9 landet die Nachricht, dass das Bundesverwaltungsgericht an diesem Donnerstag über zwei Klagen zu urteilen hatte, die große Bedeutung für die Informationsfreiheit in Deutschland besitzen. Die Frage, die es in Leipzig zu beantworten galt: Müssen Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Dt. Bundestags auf Anfrage veröffentlichen werden oder nicht?

Antwort: Ja.

Für welche zwei Fälle diese Informationspflicht zunächst gilt, erfahren Sie hier, hier und hier.

Auf Platz 8 folgen zwei Wikileaks-Enthüllungen:

Da wäre zuerst “ein vor einiger Zeit von Wikileaks veröffentlichtes CIA-Dokument“, welches belegt, dass die “Frauenfrage“ massenpsychologisch für Kriegspropagandazwecke eingesetzt wurde. Hierüber sprach dieser Tage Jens Wernicke mit dem Politikwissenschaftler Jörg Becker. Auf die Frage: “Wie beurteilen Sie das Dokument und die Inhalte?“, kommt diese Antwort Jörg Beckers:

“Auch bei diesem Papier möchte ich auf verschiedene Aspekte eingehen. Nochmals und zuerst zur Rolle der CIA, denn wir lernen ja aus diesem Paper, dass sich die CIA aktiv an Kriegspropaganda beteiligt. Das wirft zum Beispiel die Frage auf, ob die CIA das nach ihren eigenen Statuten eigentlich darf und sich stattdessen Aufgaben des Pentagon anmaßt.

Da wir aber nun aus der internationalen Drohnendebatte außerdem wissen, dass Drohnen gegen Afghanistan ebenfalls von der CIA und nicht von US-Militärs abgeschossen werden, stellen sich nicht nur nationale, sondern auch internationale Rechtsfragen.

Ist es völkerrechtlich zulässig, wenn sich ein Auslandsgeheimdienst in einen internationalen Kriegsakteur verwandelt? Und was sagen zu dieser aktiven Kriegsrolle der CIA eigentlich US-Kongress und US-Senat, die eigentlich eine Kriegsführung der USA parlamentarisch absegnen müssen?

Inhaltlich, da haben Sie vollkommen recht, steht in diesem CIA-Papier vom 26. März 2010 die Frauenfrage und die Instrumentalisierung derselben zur Erhöhung der Kriegsbereitschaft der Bevölkerung im Vordergrund. Der entscheidende Paragraf heißt dabei in deutscher Übersetzung:

Die afghanischen Frauen sind der ideale Botschafter, um den Kampf der ISAF-Truppen gegen die Taliban human erscheinen zu lassen. Denn gerade Frauen können glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Zukunftsträume und ihre Ängste bei einem Sieg der Taliban sprechen.

Wir brauchen reichweitenstarke Medien, in denen afghanische Frauen ihre Erfahrungen mit französischen, deutschen und anderen europäischen Frauen teilen können, damit gerade die bei europäischen Frauen stark vorhandene Skepsis gegen die ISAF-Mission abgebaut werden kann. Nach Umfrageergebnissen des Bureau of Intelligence and Research (INR) der CIA vom Herbst 2009 unterstützten 8 Prozent der befragten französischen und 22 Prozent der befragten deutschen Frauen den Afghanistankrieg weniger als ihre jeweils befragten männlichen Landsleute.

Am effektivsten sind wahrscheinlich solche Medienevents, in denen afghanische Frauen von ihrer Situation Zeugnis ablegen. Am besten in den Rundfunkmedien, die einen besonders hohen Frauenanteil bei ihrer Zuhörerschaft haben.

Es wird also mittels der geschickten Adressierung weiblicher Solidarität dafür geworben, ganze Länder mit Kriegen zu überziehen; dass das dann Männern und Frauen schadet und nicht nützt – darüber verlieren die Massenpsychologen selbstredend kein Wort. Sie dürfen jedoch davon ausgehen, dass es etwa im Irak keiner Frau heute besser als vor dem Krieg dort geht. Wohl eher im Gegenteil.“

Das ganze Interview der Herren Wernicke und Becker öffnet sich hier unter der Überschrift “Geleaktes CIA-Dokument belegt Kriegspropaganda“.

Sodann folgt der zweite Wikileaks-Streich, und das sind die Enthüllungen zum NSA-Ausspähen in Frankreich – worüber ich ein wenig was hier, hier und hier für Sie in petto habe.

Auf Platz 7 besteht die Möglichkeit, dass Sie sich einmal umfänglich über “das System der Geringschätzung“ informieren, mit der das öffentlich-rechtliche Fernsehen namens ARD “das Dokumentarfilmgenre seit Jahren in die dritte Reihe verweist“.

Die AG Dokumentarfilm / AG DOK, ein Berufsverband unabhängiger deutscher Dokumentarfilmer, offeriert Ihnen diese Möglichkeit hier mit der Veröffentlichung “ARD und der Dokumentarfilm: Versprechen zahlt sich nicht aus“.

Auf Platz 6 lesen wir vom Gedeihen einer gemeinsamen Einlagensicherung für die Eurozone. Während die volle Konzentration dem Griechenland-Drama galt, wurde hinter der Bühne still und leise die Kulisse zur Vollendung der Bankenunion auf den Weg gebracht. Die Guthaben der Sparer in der Eurozone sind somit längste Zeit sicher gewesen – die zukünftige Kulisse sieht vor, dass die Einlagen des Theater-Publikums in Gesamthaftung bei Bankenpleiten genommen werden können.

Mehr zum Vorgang hinter der Bühne hier und hier.

Auf Platz 5 möchte ich zum Griechenland-Drama die Lektüre eines Essays von James K. Galbraith empfehlen, einem persönlichen Berater des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Ein übersetztes Zitat daraus, das aus deutscher Sicht interessant anmutet:

„… Amerikanische Leser haben sich daran gewöhnt, Deutschland, die Deutschen, ihre Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble als die Bösewichte in diesem Drama zu sehen. Sie haben die halb-versteckt Rolle der Rasputins von Paris unterschätzt, und auch die des Svengali von Frankfurt am Main, Mario Draghi, der, während ich schreibe, Drohungen gegenüber dem griechischen Bankensystem rumoren lässt. Es könnte sich um Drohungen handeln, die in den nächsten Tagen genau die Lawine freisetzen, von der Draghi einstmals versprach, dass er alles tun werde, um sie zu verhindern.“

Galbraiths Essay “Bad Faith – Why real debt relief is not on the table for Greece” steht hier auf der Website von The American Prospect bereit.

Auf Platz 4 drehen wir die Uhren zurück, indem wir “Hinweise auf zweite Bombe bei Wiesn-Anschlag“ entgegennehmen: “Beim Attentat auf das Münchner Oktoberfest vor 35 Jahren sollten möglicherweise zwei Bomben explodieren – statt wie bisher angenommen eine Bombe. Ein Zeuge, der schon 1980 aussagte, konnte die Umstände der Explosion genau beschreiben.“

Mehr dazu hier.

Auf Platz 3 gedenke ich nach längerer Zeit einmal wieder auf die Selbstmorde unter US-amerikanischen Investmentbankern zu sprechen zu kommen. Beim von mir geschätzten James Corbett sah ich, dass es einen neuen Selbstmordfall unter Bankern gab. Der 29-Jährige Investmentbanker Thomas Hughes soll nach einer, wie die britische Daily Mail berichtete, “Wolf of Wall Street-Kokain-Party“ vom 24. Stockwerk seines eigenen Gebäudes in Manhattan gesprungen sein. Damit wächst die Zahl der Banker, die sich in diesem Jahr bisher das Leben genommen haben sollen, auf zwölf an. Zum Zeitpunkt seines Todes arbeitete Hughes für die Investmentbank Moelis & Company. Zuvor war er bei UBS, Citibank und JPMorgan Chase tätig. Corbett unterstreicht, dass diese drei Banken Teil eines Sextetts waren, welches unlängst die Strafzahlung von 6 Milliarden US-Dollar für Devisenmarktmanipulationen aufgebrummt bekam.

“Obwohl diese Verbindung an und für sich nicht die Antwort auf das Hughes-Rätsel sein mag, nimmt sie neues Licht an, wenn wir einen Blick auf einige eindeutig makabre Informationen“ zu dem werfen, was in der Bankenbrache als “Dead Peasants Insurance” bekannt ist. “Für diejenigen, die es nicht wissen, die ‘Dead Peasants Insurance‘ ist in den Geschäftswelt als ‘COLI‘ oder ‘Corporate-Owned Life Insurance‘ bekannt”, wohingegen sie in der Bankenwelt als “BOLI”, sprich: “Bank-Owned Life Insurance” firmiert. Es handelt sich also um eine Art Lebensversicherung. Genauer: “Dies sind Lebensversicherungspolicen, die von Unternehmen für ihre Mitarbeiter getroffen werden. Im Falle des Todes des Arbeitnehmers erhält das Unternehmen die Auszahlung, oftmals hinter dem Rücken der Familie des Mitarbeiters.

Obwohl traditionell in den Medien als wenig mehr als ein Modell zur Steuerverringerung beschrieben, hat Ellen E. Schultz eine finstere Möglichkeit entdeckt. In ihrem 2011 erschienenen Buch “Retirement Heist: How Companies Plunder and Profit from the Nest Eggs of American Workers” veröffentlichte Schultz ein Memo von einem Versicherungsvertreter von Mutual Benefit Life Insurance Co., das diese Arten von Versicherungen behandelt. Der Vertreter stellt fest, wie Unternehmen wie Procter & Gamble und Diebold unter niedrigen Sterberaten ihrer Mitarbeiten ‘leiden‘ würden (und damit niedrigeren Lebensversicherungsauszahlungen), aber eine Firma hätte eine signifikant höhere Rate gehabt“, und zwar hatte “ein Unternehmen, das der Vertreter NCC nannte, eine bessere Sterbensrate, stellte er fest. Die Leute starben zu 78 Prozent der erwarteten Sterblichkeit. ‘Allerdings enthält dies drei Selbstmorde innerhalb des ersten Jahres, was höchst ungewöhnlich ist‘ – NCC hatte bis 1990 innerhalb von 25 Jahren keinen Selbstmord gehabt. ‘Ohne diese Selbstmorde würde NCC auf 33% der erwarteten Sterblichkeit kommen. Diese Tatsache beunruhigt mich sehr.‘“

James Corbett erinnert daraufhin an einen Artikel der Website “Wall Street on Parade“, auf deren Banker-verüben-Selbstmorde-Recherchen ich auch schon hinwies. “Wall Street on Parade“ hatte den Hinweis gebracht, dass die New Yorker Wall Street in diese Arten von Versicherungspolicen kräftig investiert hat. Demnach halten die vier größten Banken der Wall Street eine Versicherungssumme von 681 Milliarden US-Dollar auf ihre Mitarbeiter, davon fallen allein 179 Milliarden USD auf JPMorgan Chase.

Sollte es Sie nun interessieren zu erfahren, ob womöglich JPMorgan Chase viele Selbstmord-Banker in den eigenen Reihen hat, können Sie der Frage hier nachgehen.

Auf Platz 2 halten wir James Corbett die Treue. Die Video-Serie “NewWorldNextWeek”, die von Corbett Report und Media Monarchy präsentiert wird, befasst sich in der aktuellen Ausgabe mit militärischen Fragen – siehe hier.

Sie sollten die bereitgestellten Links benutzen. In der ersten Geschichte geht es um das neue “War Manual“ des Pentagon. Dem Handbuch ist der Rechtskodex während militärischer Operationen zu entnehmen. Claire Bernish von “Antimedia“ schreibt: “Gleichwohl der riesige Wälzer trockener als altbackenes Brot ist, gibt es viele alarmierende Eintragungen“ – beispielsweise jene, wonach “Journalisten als potenzielle Terroristen“ gelten, bis hin zur “Verwendung von international verbotenen Waffen“. Mit dem neuen Handbuch legt das Pentagon erstmals eine Überarbeitung der seit 1956 geltenden Regeln vor; es war 25 Jahre in Arbeit.

Details dazu gibt es hier unter der Überschrift “The Pentagon’s New Law of War Manual is Chilling“ – und ansonsten eben das Video oben anklicken…

Und auf Platz 1 rangiert diese Woche eine Veröffentlichung auf TomDispatch.com von Nomi Prins, die sich mit den präsidialen Ambitionen eines Jeb Bush auseinandersetzt. Hinter ihm, so Prins, steht “das wirklich große Geld“, auch natürlich “angesichts seiner Familien-Verbindungen“. Prins erinnert an George Herbert Walker, den Ur-Großvater von Jeb Bush, dem einstigen Gründer der Investmentfirma G.W. Walker & Company, welche später von Merrill Lynch übernommen wurde. Hier liegt der Grundstock für das Vermögen der Familie Bush, die über den Parvenü Prescott Bush in die Walker-Familie einheiratete.

Prins lässt die Schritte Revue passieren, die die bisherigen zwei Bush-Präsidenten im Oval Office unternahmen, wie zum Beispiel die letztlich nicht ganz erfolgreichen Bemühungen von George Herbert Walker Bush, den Glass-Steagall-Act zu beseitigen, welcher das Trennbankensystem einführte. Ein anderes Beispiel sind die Wellen an Banken- und Unternehmensbetrug, die im großen Stil in beiden bisherigen Bush-Präsidentschaften zutage traten.

Prins legt dar, dass insbesondere die Bankhäuser Merrill Lynch (heute Bank of America) und Goldman Sachs enge, langandauernde Verbindungen zum Bush-Clan unterhalten. Während der zweiten Amtszeit von George W. Bush sei es gar zu einer Art “Government by Goldman Sachs for Goldman Sachs” gekommen.

Was das Geld hinter seinem Bruder Jeb angeht, so nennt Nomi Prins einige Namen hochvermögender Individuen: Sheldon Adelson, Harold Simmons, Robert Perry, John Joe Ricketts, Henry Kravis, Jim Donovan oder Paul Singer. Bisher hat Jeb Bush in den drei Staaten New York, New Jersey und Connecticut allein rund 17 Millionen Dollar für den Wahlkampf eingestrichen; mehr wird folgen. Die Bush-Banker-Allianz macht das Rennen im Republikaner-Lager, da ist sich Nomi Prins gewiss, dafür werden die “Berge an Geld“ sorgen, die sich “aufzutürmen beginnen“.

Lesen Sie den ganzen Essay hier.

Zuletzt noch das Musikstück der Woche: AFRIKA BAMBAATAA / KARL BARTOS: Planet Rock (Classic Mix).

In dem Sinne, ganz der Ihre,

Lars Schall.

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