Angesichts der “Flüchtlingslawine“ aus Syrien/Irak und der von ISIS reklamierten Anschlagserie in Paris, sei anhand von Fakten daran erinnert, dass das Chaos, das beidem Zunder gab, gewollt ist.
Von Lars Schall
Es folgt ein Auszug aus einem Buch zum Thema 9/11 und Tiefenstaat, an dem ich derzeit schreibe.
(…) China ist sich vollkommen bewusst, dass es mit den Vereinigten Staaten militärisch nicht konkurrieren kann (zum Vergleich: 2013 betrugen die amerikanischen Militärausgaben 640 Milliarden US-Dollar, die chinesischen Militärausgaben beliefen sich bei 188 Milliarden US-Dollar. (1)) Pekings Antwort besteht darin, dass es den USA die offenen, blutigen Konflikte überlässt; es selber verlagert sich auf die wirtschaftliche Kriegsführung in deren Windschatten. Dabei nutzt es aus, dass sich die USA mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ vielerorts unbeliebt machen. Im Fokus der chinesischen Handlungen steht die Strategie, sich vor allem dort Freunde zu schaffen, wo es um Öl geht. Da der US-amerikanische „Krieg gegen den Terror“ im Großen und Ganzen ein Öl-Krieg ist – oder jedenfalls dort stattfindet, wo das Öl nicht weit zu suchen werden braucht –, fällt beides für die Chinesen relativ ideal in eins.
Man nehme als Beispiel die ausgezeichneten Erfolge, die Peking zwischen Euphrat und Tigris nach dem Irak-Abenteuer der USA einfuhr (ehe dann ISIS/ISIL/IS auf die Szene trat). Die China National Petroleum Company (CNPC) gewann beispielsweise die Ausschreibung für die Entwicklung des Halfiya-Ölfelds, das bis zu 4,1 Billionen Barrel des teuren Guts beinhalten soll. Zusammen mit BP bekam die CNPC zuvor schon den Zuschlag für die Entwicklungsrechte in Rumaila, dem größten Ölfeld, das der Irak überhaupt zu vergeben hat. Damit nicht genug: CNPC war ebenso behilflich bei der Wiederaufnahme der Ölproduktion des Al-Ahdab-Ölfelds, während die China Petrochemical Corp. (Sinopec) durch die Übernahme der Schweizer Erdölfirma Addax Petroleum im kurdischen Teil des Irak seither – theoretisch – Reserven im Volumen von 42,5 Mio. Barrel hält. (2)
Sinopec hat seinen Stammsitz in Peking, zählt zu den drei größten Erdgas- und Mineralölunternehmen Chinas und stand 2006 sogar auf der Spitzenposition unter den chinesischen Top-500-Unternehmen.(3) Mit einer Lizenz der kurdischen Regionalregierung förderte Addax, das für knapp $ 8 Milliarden an Sinopec ging, 40.000 Barrel täglich im Jahre 2010. Nach Ausbau der Anlage des Taq-Taq-Ölfeldes könnte die tägliche Produktion 70.000 Barrel betragen. Entsprechend wurde die Transaktion zwischen Sinopec und Addax „von offizieller chinesischer Seite … begrüßt: Die Übernahme passe gut in die globale Energiestrategie Chinas“, berichtete Bloomberg. „Das Land sei bestrebt, die Ölversorgung zu diversifizieren. Zugang zu Vorkommen im Nahen Osten und in Afrika werden ohne Zweifel die Energiesicherheit verbessern, sagte Jiang Xinmin, Energieexperte bei der Nationalen Kommission für Planung und Entwicklung, der obersten Planungsbehörde in Peking.“ (4)
Was die im Irak tätigen Dschihadisten von „ISIL / ISIS / IS“ und die Angriffe von US-amerikanischen Kampfjets auf irakische IS-Ziele seit dem 8. August 2014 angeht, ist aus westlicher Sicht zu konstatieren, dass die IS-Kämpfer „keine neue Erscheinung“ darstellten. „Doch solange sie ihre Blutspur allein in Syrien zogen, hat man sie nur verbal verurteilt, faktisch aber weiterhin ‒ als Teil der gegen die Assad-Regierung kämpfenden Allianz ‒ unterstützt. Zur zu bekämpfenden Bestie wurde ISIL erst, als seine Vorstöße im Irak bis in die von den irakischen Kurdenparteien KDP und PUK kontrollierten Gebiete reichten und damit unmittelbar die sich dort befindlichen Öl- und Gasfelder bedrohten, auf denen westliche Ölkonzerne aktiv sind.“ (5)
Das vorgebrachte Öl-Argument lässt sich untermauern: „Verschwörungstheoretiker haben lange insistiert, dass sich moderne Kriege um Öl drehen. Jetzt zeigen Untersuchungen, dass Kohlenwasserstoffe eine noch größere Rolle in den Konflikten spielen, als sie vermutet hatten.
Laut Wissenschaftlern der Universitäten von Portsmouth, Warwick und Essex ist eine ausländische Intervention in einem Bürgerkrieg 100 Mal wahrscheinlicher, wenn das betroffene Land hohe Ölreserven hat, als wenn es keine hat. Diese Forschung ist die erste, die die Rolle des Öls als dominierenden Motivationsfaktor in Konflikten bestätigt, indem sie darauf hindeutet, dass Kohlenwasserstoffe ein wesentlicher Grund für die militärische Intervention in Libyen … und die aktuelle US-Kampagne gegen Isis im Nordirak waren.“
Die Studie, die im Journal of Conflict Resolution veröffentlicht wurde, deutet darauf hin, dass es aufgrund des fallenden Ölpreises zu weniger westlichen Interventionen kommen wird, da das „schwarze Gold“ als „ein weniger wertvolles Gut“ dasteht. Einer der Autoren der Studie, Dr. Petros Sekeris von der University of Portsmouth, sagte: „Eine militärische Intervention ist teuer und riskant. Kein Land tritt in den Bürgerkrieg in einem anderen Land ein, ohne die Kosten gegen die eigenen strategischen Interessen abzuwiegen.”
Wenn das Land, das sich im Krieg befindet, ein großer Produzent und Exporteur von Erdöl ist, gehen die „strategischen Interessen“ von Drittparteien sehr viel eher in Richtung Militärintervention. „,Nach einer strengen und systematischen Analyse haben wir festgestellt, dass sich die Rolle wirtschaftlicher Anreize als ein Schlüsselfaktor für die Intervention entpuppt‘, sagte Co-Autor Dr. Vincenzo Bove von der University of Warwick. ,Bevor sich die Isis-Kräfte dem ölreichen kurdischen Norden des Irak näherten, wurde Isis in den Nachrichten kaum erwähnt. Sobald sie aber in die Nähe von Ölfeldern kamen, geriet die Belagerung von Kobani in Syrien zu einer Schlagzeile und die USA schickten Drohnen, um Isis-Ziele zu treffen‘, fügte er hinzu.“ (6)
Adil Shamoo, Professor an der University of Maryland und Mitarbeiter am Institute for Policy Studies, machte im September 2014 die USA für Iraks Probleme verantwortlich. Es seien die Vereinigten Staaten gewesen, die die inneren Zerwürfnisse und sektiererischen Spaltungen bewirkten. ISIS bilde sich aus ehemaligen Ba’ath-Parteigängern, al-Qaida-Mitgliedern und Sunnis zusammen, die ihre Machtposition verloren hätten. Die Finanzierung für ISIS stamme aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten, zusammen mit den Erlösen, die der Ölverkauf zu einem Viertel des Weltölpreises für ISIS einbringe. (7) Den Erdölverkauf betreffend, wurde insbesondere türkischen Institutionen der Vorwurf gemacht, bei diesen Verkäufen behilflich zu sein. (8)
Im Mai 2015 veröffentlichte die US-Bürgerrechtsvereinigung Judicial Watch eine Auswahl von ehemals vertraulichen Regierungsdokumenten, die vom Pentagon und dem US-Außenministerium stammen. In einem Dokument der Defense Intelligence Agency (DIA), das vom August 2012 datiert und an US-Behörden wie CENTCOM, CIA und FBI ging, hieß es, dass für den Westen, die Länder des Golfes und für die Türkei die Möglichkeit bestünde, „ein erklärtes oder unerklärtes salafistisches Fürstentum in Ost-Syrien“ zu etablieren – was wiederum exakt das sei, was die Unterstützer der syrischen Opposition wollten, „um das syrische Regime zu isolieren“. Will bedeuten: „Das Dokument zeigt, dass die US-Geheimdienste bereits 2012 den Aufstieg des Islamischen Staates im Irak und in der Levante (ISIL oder ISIS) vorhersagten, aber statt sich von der Gruppe als einem Feind deutlich abzugrenzen, sieht der Bericht die Terrorgruppe als einen strategischen Wert für die USA an“, mit dem sich ein Regimewechsel in Damaskus bewerkstelligen lassen könne, wiewohl al-Qaida in dem Bericht als treibender Faktor hinter der syrischen Opposition ausgemacht wird. Der DIA-Report, der mit der Geheimhaltungsstufe „SECRET/NOFORN“ versehen wurde, sagte für den Fall einer „Verschlechterung der Lage“ in Syrien „düstere Konsequenzen für die Situation im Irak“ voraus. Nicht zuletzt würde sich dadurch eine „ideale Atmosphäre für die Rückkehr von al-Qaida in ihre Stammgebiete in Mosul und Ramadi“ ergeben. (9)
In einem DIA-Memo, das vom Oktober 2012 datiert und ebenfalls an mehrere Behörden ging, wurde überdies kein Zweifel daran gelassen, „dass US-Geheimdienste wussten, dass sich Waffen von Libyen“ – über die dortigen al-Qaida-Kämpfer – „nach Syrien“ – zu den in der Levante konzentrierten Kräften – „bewegten“. (10)
Ganz öffentlich war derlei vom Council on Foreign Relations begleitet worden. Ed Husain, der im CFR-Studienprogramm zum Mittleren Osten arbeitet, schrieb im August 2012 auf der CFR-Website: „Im Großen und Ganzen sind die Bataillone der Freien Syrischen Armee (FSA) müde, geteilt, chaotisch und unwirksam. Indem sie sich vom Westen verlassen fühlen, sind die Rebellen zunehmend demoralisiert … Al-Qaida-Kämpfer können dagegen dazu beitragen, die Moral zu verbessern. Der Zustrom von Dschihadisten bringt Disziplin, religiöse Inbrunst, Kampferfahrung aus dem Irak, die Finanzierung von sunnitischen Sympathisanten in der Golfregion, und vor allem tödliche Resultate. Kurz gesagt, die FSA braucht jetzt al-Qaida.” (11)
Letztlich ist ISIS eine Geburt der US-Invasion im Irak – begünstigt von der Destabilisierung Syriens. Michael T. Flynn, unter anderem ehemals Direktor der Defense Intelligence Agency (Juli 2012 bis August 2014), sagte im Sommer 2015 gegenüber Mehdi Hasan von Al Jazeera, „dass die Invasion im Irak ein strategischer Fehler war, der direkt zum Aufstieg der extremistischen Gruppe des Islamischen Staates beitrug. … ,Wir haben auf jeden Fall Öl in ein Feuer gegossen. Absolut … es gibt keinen Zweifel daran, ich meine … die Geschichte wird nicht freundlich mit den Entscheidungen umgehen, die im Jahre 2003 getroffen wurden.’“ (12) Darauf angesprochen, ob die Regierung in Washington die DIA-Analyse vom August 2012 über den Aufstieg der Salafisten in Ost-Syrien „wissentlich ignoriert“ habe, entgegnete Flynn: „Ich weiß nicht, ob sie sie wissentlich ignoriert haben, ich denke, es war eine Entscheidung. Ich denke, es war eine vorsätzliche Entscheidung.“
Daraufhin fragte Hasan: „Eine vorsätzliche Entscheidung, einen Aufruhr zu unterstützen, an dem Salafisten, al Qaeda und die Moslem-Bruderschaft beteiligt waren?“
Antwort Flynn: „Es war eine vorsätzliche Entscheidung, das zu tun, was sie tun.“ (13)
Eine Politik, die sich mit den Ursachen des Elends der Flüchtlinge aus Syrien und Irak befasste, würde vielleicht zum Schluss gelangen, dass die USA und die anderen Mitglieder der „Koalition der Willigen“ von 2003 zur Kasse zu bitten wären. Gerade hier beim Flüchtlingsproblem, das sich aus den besagten beiden Ländern für Europa stellt, sollte das Verursacherprinzip greifen, wonach derjenige, der eine bestimmte Handlung vornimmt oder sie unterlässt, die Kosten für diese Handlung oder ihre Unterlassung zu tragen hat.
Teilweise vermag der Aufstieg von ISIS auch auf einen langfristigen Plan der saudischen Elite zurückgeführt werden, um ihre verhassten Rivalen, die Schiiten, auszuschalten, während sie ihre eigene repressive Macht über den Mittleren Osten auszuweiten gedenken. „Einige Zeit vor 9/11 hatte Prinz Bandar bin Sultan, der einst mächtige saudische Botschafter in Washington und bis vor ein paar Monaten Leiter des saudischen Geheimdienstes, ein aufschlussreiches und ominöses Gespräch mit dem Leiter des britischen Secret Intelligence Service, MI6, Sir Richard Dearlove. Prinz Bandar sagte ihm: ,Die Zeit ist nicht mehr weit im Nahen Osten, Richard, wenn es buchstäblich ,Gott helfe den Schiiten‘ heißen wird. Mehr als eine Milliarde Sunniten haben einfach genug von ihnen.‘
Der fatale Moment, der von Prinz Bandar vorhergesagt wurde, mag nun für viele Schiiten gekommen sein, indem Saudi-Arabien eine wichtige Rolle dabei spielt, ihn durch die Unterstützung des anti-schiitischen Dschihads im Irak und in Syrien hervorzubringen. … Es besteht kein Zweifel an der Richtigkeit des Zitats von Prinz Bandar, Generalsekretär des saudischen Nationalen Sicherheitsrates von 2005 und Leiter des Geheimdienstes zwischen 2012 und 2014, den entscheidenden zwei Jahren, als Dschihadisten der al-Qaida-Art die bewaffnete sunnitische Opposition im Irak und in Syrien übernahmen. In der vergangenen Woche am Royal United Services Institute sprechend, betonte Dearlove, der den MI6 von 1999 bis 2004 leitete, die Bedeutung von Prinz Bandars Worten und sagte, dass sie ,einen abschreckenden Kommentar (bildeten), an den ich mich in der Tat sehr gut erinnere‘.“ (14)
Zudem wissen wir durch einen Bericht von Seymour Hersh, der 2007 im New Yorker erschien, dass Präsident Bush die saudischen Ansprechpartner bedrängt hatte, sektiererische Kräfte von der Leine zu lassen, um der Assad-Regierung in Syrien und der Hisbollah im Libanon zu schaden. (15) Daran, dass dafür Gelder aus Kuwait, Katar und Saudi-Arabien flossen, besteht kein Zweifel. (16) Ebenso wenig daran, dass der türkische Geheimdienst den Al-Qaida-Kämpfern in Syrien Waffen bereitstellte. (17) Ferner besuchten syrische Rebellen Waffentrainingslehrgänge der CIA, die in der Türkei und in Jordanien stattfanden. (18)
Diese Entwicklung geht auf eine Entscheidung der Bush-Regierung zurück, die Mitte der 2000er Jahre getroffen wurde und vorsah, Saudi-Arabien als Mittelsmann zu benutzen, um Gelder „an mit al-Qaida verbundene Dschihadisten, militante Salafisten und Islamisten der Muslimbruderschaft“ zu leiten. „Die Idee dahinter war, diese Gruppen im Nahen Osten und in Zentralasien zu stärken, um den geopolitischen Einfluss des schiitischen Iran und Syriens zu beschneiden und zurückzudrängen.“ (19)
Seymour Hersh berichtete für den New Yorker über den Fortschritt dieser Strategie. „Die von den USA unterstützte Finanzierungsoperation der Saudis für militante Islamisten, einschließlich mit al-Qaida verbundener oder mit dieser sympathisierender Gruppen, bestand laut Hersh bereits seit 2005.“ (20) Ebenfalls 2007 wurde die Existenz eines US-Geheimprogramms dieser Art durch ABC News untermauert. (21)
Im folgenden Jahr wurde offenbar, „dass Bush eine ,noch nie dagewesene‘ Geheimoffensive gegen Iran und Syrien autorisiert hatte, die ein riesiges geografisches Gebiet vom Libanon bis Afghanistan umfasste und die Finanzierung anti-schiitischer Gruppierungen gestattete.“ Hierzu zählten militante sunnitische Terroristen wie Jundullah, kurdische Nationalisten aus dem Iran oder auch die Ahwazi-Araber im Südwesten des Iran. „Anfänglich standen der CIA-Operation 3–400 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Wenngleich der Startschuss unter Bush erfolgte, eskalierte die Strategie unter der Obama-Administration.“ (22)
Der ehemalige MI6-Beamte Alastair Crooke erläuterte, dass das Wiedererstarken von al-Qaida-Dschihadisten auf die amerikanisch-saudische Allianz zurückzuführen sei: „Die US-Vertreter stellten Überlegungen darüber an, was unternommen werden könnte, um diesen lebenswichtigen Korridor [von Iran nach Syrien] zu blockieren, doch es war Prinz Bandar aus Saudi-Arabien, der sie mit der Aussage überraschte, die Lösung sei, sich die islamischen Kräfte zu Nutze zu machen. Die Amerikaner waren von dieser Idee fasziniert, konnten aber mit solchen Leuten nicht umgehen. Überlasst das mir, erwiderte Bandar.“ (23)
Das Durchziehen dieser Strategie unter Bushs Nachfolger Obama bestätigte John Hannah, der ehemalige Nationale Sicherheitsberater von Vizepräsident Dick Cheney: „Die Zusammenarbeit mit Bandar als Partner Washingtons gegen den gemeinsamen Feind Iran ist ein großes strategisches Plus.“ (24) Hannah schrieb, dass die Mobilisierung extremistischer Sunniten „in der gesamten Region“ durch saudische Ressourcen „die Politik und Interessen der USA stärken“ könne, um etwa den Iran zu schwächen, das Assad-Regime zu untergraben, zu Gaddafis Abgang beizutragen und eine Verhandlungslösung im Jemen zu befördern. (25)
In einem Bericht der RAND Corporation, der damals entstanden war, wurden acht Strategien zur Verfolgung des „Kriegs gegen den Terror“ in der eingezirkelten Region empfohlen. Darunter befand sich die Empfehlung, zwischen den verschiedenen salafistisch-dschihadistischen Gruppen „Verwerfungslinien“ auszunutzen, „damit sie sich gegeneinander wenden und ihre Energien in internen Konflikten aufreiben“. Dies könne etwa zwischen salafistisch-dschihadistischen Gruppen, „die sich auf den ,Sturz ihrer nationalen Regierungen‘ konzentrieren“, und eher „transnationalen Dschihadisten wie al-Qaida“ geschehen. Die RAND Corporation befand, die Vereinigten Staaten „könnten die nationalistischen Dschihadisten“ in Operationen zur Lancierung bestimmter Informationen nutzen, um „zur Diskreditierung der transnationalen Dschihadisten“ beizutragen. (26) Die USA wären in der Lage, „den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten“ für sich zu nutzen, „indem sie sich entschieden auf die Seite der konservativen sunnitischen Regime stellen“, um mit ihnen gegen alle schiitischen Kräfte in der muslimischen Welt zusammenzuarbeiten. Ziel: die Herbeiführung einer „Spaltung der dschihadistischen Bewegung zwischen Schiiten und Sunniten.“ Aufgabe sei es, „Macht und Einfluss des Iran“ einzudämmen. indem „die traditionellen sunnitischen Regime in Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan“ die Unterstützung der USA erhielten. (27)
Der RAND-Bericht bestätigte ferner, „dass die aktive Umsetzung dieser ,Teile-und-herrsche‘-Strategie in der Region bereits im Gange war, insbesondere im Irak: ,Diese Strategie wird heute im Irak auf taktischer Ebene eingesetzt; die Vereinigten Staaten gehen nun temporäre Allianzen mit nationalistischen aufständischen Gruppen ein, die sie vier Jahre lang bekämpft haben.‘“ (28)
Hersh machte in seinem Bericht aus dem Jahr 2007 geltend, dass ihm ein Regierungsberater gesagt habe, „Prinz Bandar bin Sultan und andere Saudis hätten dem Weißen Haus versichert, dass ,sie die religiösen Fundamentalisten sehr aufmerksam beobachten werden. Ihre Botschaft an uns war: ,Wir haben diese Bewegung initiiert, und wir können sie kontrollieren.‘ Es geht nicht darum, dass wir nicht wollen, dass die Salafisten Bomben werfen; es geht darum, auf wen sie sie werfen – die Hisbollah, Muktada al-Sadr, Iran und auf die Syrer, wenn sie weiter mit der Hisbollah und Iran kooperieren.“ (29)
Der ehemalige Leiter der US-Visastelle in Dschidda, Saudi-Arabien, der schon vorgestellte J. Michael Springmann, fasst den Horizont der Szenerie, in der wir uns bewegen, wie folgt ins Auge – die Anfänge von al-Qaida mit dem Heute verbindend:
„Die internationalen Terroristen, die die Vereinigten Staaten vor dreißig Jahren für Kriege in Afghanistan und Bosnien rekrutierten, sind noch immer in die Kämpfe an anderer Stelle heute beteiligt. Bosnien war nicht der einzige Ort, an dem diese Sattellandstreicher und Revolverhelden beschäftigt wurden. Die Visa, die das Außenministerium ihnen damals ausstellte, sind nunmehr mit den fortwährenden Kriegen der gegenwärtigen Regierung in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien verbunden. Die Fanatiker, von denen ich während meiner Zeit in Dschidda sah, dass sie Reisepapiere erhielten, werden im heutigen Kampf gegen US-Streitkräfte entweder direkt eingesetzt“ – oder sie seien an der Ausbildung derer beteiligt, so Springmann, die US-Streitkräfte in den besagten Ländern angriffen. „Der ehemalige Senator Mike Gravel … erzählte mir im letzten Jahr, dass diejenigen, die ursprünglich für die antisowjetische Operation in Afghanistan rekrutiert wurden, noch immer verwendet werden würden, um Regierungen zu destabilisieren, die die Vereinigten Staaten nicht mag. Jetzt erhalten sie die Hilfe von Söldnerarmeen, die von US-Firmen angeworben werden, die eng mit amerikanischen Behörden verbunden sind, wie zum Beispiel … Blackwater / Xe Services / Acedemi / Constellis, das ,Sicherheitsarbeit‘ für das Außenministerium verrichtet.“ (30)
Solchen Söldnerarmeen dürfte gefallen, dass der Kampf gegen den Islamischen Staat lange andauern wird. Im Sommer 2015 berichtete das US-Magazin Foreign Policy, dass der Vize-Vorsitzende der U.S. Joint Chiefs of Staff, Admiral James A. Winnefeld, die Kampagne gegen IS mit dem Kalten Krieg verglich. „Ich denke, es wird ein generationsübergreifender Kampf werden“, vermutete er. General Ray Odierno, damals scheidender Vorsitzender der U.S. Army, sagte gegenüber Reportern, dass ISIS seiner Überzeugung nach „ein 10- bis 20-Jahre-Problem“ sei; „es ist kein 2-Jahres-Problem.“ (31)
Ungeachtet des im Irak angerichteten Schadens, war das Zweistromland Anfang 2015 Pekings zweitgrößter Erdöllieferant. Insgesamt betrugen die Erdölverschiffungen gen China im ersten Monat des Jahres 2015 knappe 3.4 Millionen Tonnen bzw. 803.000 Barrel pro Tag. Dabei profitierte China „von Rekord-Rabatten, die durch Rohöl-Hersteller angeboten werden, indem sie inmitten eines globalen Überangebots um Marktanteile konkurrieren. Die Öl-Nachfrage des weltweit größten Energieverbrauchers wird voraussichtlich stabil sein und Zukäufe von einem Land werden auf Kosten eines anderen gehen, sagte Gao Jian, Analyst bei der Beratungsfirma SCI International in Shandong, China.
,Chinas Strategie ist einfach, Öl zu kaufen, wo immer es verfügbar ist, und es zum günstigsten Preis zu kaufen‘, sagte Gao. … ,Der Irak erhöht die Lieferungen aufgrund des Rekordausstoßes und der günstigen Preise. Infolgedessen hat er Marktanteile ergriffen.‘“ (32)
2014 war der Irak mit 9,3 Prozent aller Importe der fünfgrößte Erdöllieferant Chinas. Im Januar 2015 produzierte er 3.9 Barrel pro Tag „und bot asiatischen Verbrauchern einen Diskontpreis von 4 US-Dollar … auf sein Basrah Light Grade an“. (33)
QUELLEN:
(1) Vgl. „Länder mit den größten Militäretats der Welt“, veröffentlicht auf Sputniknews am 10. Februar 2015 unter: http://de.sputniknews.com/infographiken/20150210/301035902.html. Diese 188 Milliarden US-Dollar entsprachen freilich einem Anstieg der chinesischen Militärausgaben zwischen 2004 und 2013 von satten 170 Prozent.
(2) Vgl. Robin Pagnamenta: “Iraq will double exports to China to satisfy thirst for oil”, veröffentlicht in The Times am 23. Dezember 2009 unter:
http://business.timesonline.co.uk/tol/business/industry_sectors/natural_resources/article6965724.ece
(3) Vgl. „Chinas Top-500-Unternehmen 2006“, veröffentlicht von China Economic Net am 4. Juni 2006 unter:
http://www.emfis.de/global/global/analysen/beitrag/id/Chinas_Top_500_Unternehmen_2006_ID32
033.html
Darin hieß es: „Der chinesische Unternehmensverein hat heute zum fünften Mal die Liste der Top-500-Unternehmen veröffentlicht. Sinopec, State Grid, CNPC, die Industrial and Commercial Bank of China, China Mobile, China Life, China Southern Power Grid, China Construction Bank, China Telecom und Bank of China stehen auf dem Spitzenrang.”
(4) Vgl. „Übernahme: Sinopec sichert sich Ölreserven im Irak“, veröffentlicht auf Handelsblatt.com am 25. Juni 2009 unter:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/sinopec-sichert-sich-oelreserven-imirak;
2393218
(5) Vgl. Joachim Guilliard: “Der Irak im Vielfrontenkrieg“, veröffentlicht auf Informationsstelle Militarisierung am: 27. Januar 2015 unter: http://www.imi-online.de/2015/01/27/der-irak-im-vielfrontenkrieg/.
(6) Vgl. Tom Bawden: “Intervention in civil wars ‘far more likely in oil-rich nations’”, veröffentlicht auf The Independent am 28. Januar 2015 unter: http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/intervention-in-civil-wars-far-more-likely-in-oilrich-nations-10006648.html. Die Studie, die von Petros Sekeris, Vincenzo Bove und Kristian Skrede Gleditsch verfasst wurde, heißt “‘Oil above Water‘ – Economic Interdependence and Third-Party Intervention“, online abrufbar unter:
http://jcr.sagepub.com/content/early/2015/01/23/0022002714567952.abstract
(7) So wiedergegeben in J. Michael Springmann: “Visas for Al Qaeda: CIA Handouts That Rocked The World”, Daena Publications, Washington DC, 2014, Seiten 122-123.
(8) Vgl. Nafeez Ahmed: “UK, US turn blind eye to Islamic State oil sales”, veröffentlicht von Middle East Eye am 31. Juli 2015 unter:
http://www.middleeasteye.net/columns/uk-us-turn-blind-eye-islamic-state-oil-sales-553879014, und: “Western Official Confirms Turkey-ISIL Secret Oil Business”, veröffentlicht von Global Research am 29. Juli 2015 unter:
(9) Vgl. Brad Hoff: “2012 Defense Intelligence Agency document: West will facilitate rise of Islamic State ’in order to isolate the Syrian regime’”, veröffentlicht auf Levant Report am 19. Mai 2015 unter: http://levantreport.com/2015/05/19/2012-defense-intelligence-agency-document-west-will-facilitate-rise-of-islamic-state-in-order-to-isolate-the-syrian-regime/ sowie Steven Chovanec: “How the US Aided ISIS and the Fall of Mosul and Ramadi”, veröffentlicht auf Reports from Underground am 23. Mai 2015 unter:
http://undergroundreports.blogspot.de/2015/05/how-us-aided-isis-and-fall-of-mosul-and.html
Der Report der Defense Intelligence Agency ist auf der Website von Judicial Watch hier online bereitgestellt:
http://www.judicialwatch.org/document-archive/pgs-287-293-291-jw-v-dod-and-state-14-812-2/
(10) Vgl. “Docs: Benghazi Planned in Advance to Coincide With 9/11 Anniversary”, veröffentlicht von Fox News Insider am 18. Mai 2015 unter:
http://insider.foxnews.com/2015/05/18/2012-dia-docs-weapons-moved-libya-syria-benghazi-attack-planned-memorial-911
(11) Ed Husain: “Al-Qaeda’s Specter in Syria”, veröffentlicht auf der Website des Council on Foreign Relations am 6. August 2012 unter: http://www.cfr.org/syria/al-qaedas-specter-syria/p28782
(12) Murtaza Hussain: “Retired General: Drones Create More Terrorists Than They Kill, Iraq War Helped Create ISIS”, veröffentlicht von The Intercept am 16. Juli 2015 unter:
https://firstlook.org/theintercept/2015/07/16/retired-general-drones-create-terrorists-kill-iraq-war-helped-create-isis/
(13) Vgl. Brad Hoff: “Former DIA Chief Michael Flynn Says Rise of Islamic State was “a willful decision” and Defends Accuracy of 2012 Memo“, veröffentlicht von Levant Report am 6. August 2015 unter:
(14) Vgl. Patrick Cockburn: “Iraq crisis: How Saudi Arabia helped Isis take over the north of the country”, veröffentlicht von The Independent am 13. Juli 2014 unter:
http://www.independent.co.uk/voices/comment/iraq-crisis-how-saudi-arabia-helped-isis-take-over-the-north-of-the-country-9602312.html
(15) Vgl. Seymour M. Hersh: “The Redirection – Is the Administration’s new policy benefitting our enemies in the war on terrorism?”, veröffentlicht von The New Yorker am 5. März 2007 unter:
http://www.newyorker.com/magazine/2007/03/05/the-redirection
(16) Vgl. Josh Rogin: “America’s Allies Are Funding ISIS”, veröffentlicht von The Daily Beast am 14. Juni 2014 unter: http://www.thedailybeast.com/articles/2014/06/14/america-s-allies-are-funding-isis.html
(17) Vgl. Fehim Taştekin: “Turkish Military Says MIT Shipped Weapons to al-Qaeda”, veröffentlicht von US News & World Report am 16. Januar 2015 unter:
http://www.usnews.com/news/articles/2015/01/16/turkish-military-says-mit-shipped-weapons-to-al-qaeda
(18) Vgl. David S. Cloud / Raja Abdulrahim: “U.S. has secretly provided arms training to Syria rebels since 2012”, veröffentlicht von The Los Angeles Times am 21. Juni 2013 unter:
http://articles.latimes.com/2013/jun/21/world/la-fg-cia-syria-20130622
(19) Vgl. Nafeez Ahmed: “The bin Laden death mythology”, veröffentlicht auf Insurge Intelligence am 3. Juli 2015 unter:
https://medium.com/insurge-intelligence/the-bin-laden-death-mythology-9a3776a6e3c3
(20) Ebd.
(21) Ebd.
(22) Ebd.
(23) Alastair Crooke: “Syria and Iran: the great game”, veröffentlicht von The Guardian am 4. November 2011 unter:
http://www.theguardian.com/commentisfree/2011/nov/04/syria-iran-great-game
(24) John Hannah: “Bandar’s return”, veröffentlicht von Foreign Policy am 22. April 2011 unter:
(25) Ebd.
(26) Nafeez Ahmed: “The bin Laden death mythology”, a.a.O.
(27) Ebd.
(28) Ebd.
(29) Ebd.
(30) J. Michael Springmann: “Visas for Al Qaeda”, a.a.O., Seiten 212 – 213.
(31) Vgl. Dan De Luce: “Is the U.S. Ready for an Endless War Against the Islamic State?”, veröffentlicht von Foreign Policy am 27. August 2015 unter:
Is the U.S. Ready for an Endless War Against the Islamic State?
(32) Vgl.: “Iraq Takes Second Spot Among China Oil Sellers as Russia Cedes”, veröffentlicht auf First Enercast Financial am 27. Februar 2015 unter:
http://www.firstenercastfinancial.com/news/story/61791-iraq-takes-second-spot-among-china-oil-sellers-russia-cedes
(33) Vgl. ebd.