Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
willkommen bei Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 betreten wir für den Anfang kurz die Kunst-Ecke. Letzte Woche war auf Platz 8 vermerkt, dass die Broadway-Inszenierung von “Hamilton – an American Musical” im diesjährigen US-Wahlkampf Karriere macht. Ein weiteres Zeugnis dazu lieferte ein Zwischenstopp der Darsteller-Truppe im Weißen Haus ab, worüber Sie sich hier in der “New York Times“ informieren können.
Bei der “FAZ“ erschien hier ein kurzweiliges Interview zur Biographie des Malers Franz Marc, und hier auf der “SZ“-Website gibt es eine Auswahl besonderer Reise-Erlebnisse des australischen Barden Nick Cave.
Auf Platz 9 treten wir über in die Medien-Ecke. Dort wird uns mitgeteilt, es sei bei der Einführung des Leistungsschutzrechts in diesem Lande “einiges schiefgegangen, nicht zuletzt aufgrund massiven Lobbyeinflusses durch Vertreter der Verlegerlobby.“
Siehe dazu hier.
Bei “Carta“ fragt sich Laurent Joachim: “Kann guter Journalismus unter prekären Lebensbedingungen entstehen?“
Seine Gedanken dazu finden Sie hier vor.
Ein Leser darf lesen, kommentieren eher nicht, ist hier zu lesen.
Und hier meint man zurecht, dass man der AfD-Combo mit einem Packen besserer Fragen als bisher kommen sollte.
Auf Platz 8 wechseln wir weiter in die Wissenschafts-Ecke. Ich biete Ihnen dort etwas an, das ich mit einiger Freude und Zustimmung las: “Meine Weltanschauung” von Stanislaw Lem, auffindbar hier.
Auf Platz 7 kommen wir in die Geld-Ecke. Norbert Häring hält Sie hier, hier, hier und hier auf dem Laufenden, wenn es um die laufende Anti-Bargeld-Kampagne geht.
Die Debatte ums sogenannte “Helikopter-Geld” kommt auch wieder in Gang, wie Sie hier unter “Central Banks Are Already Doing the Unthinkable — You Just Don’t Know It“ feststellen können.
Hier wäre zu erfahren, dass Zentralbanken eine Superwährung gegen Bitcoin in Stellung bringen wollen.
Beim Gold finde ich es diese Woche angebracht hervorzuheben, dass Ronan Manly eine ganz hervorragende Arbeit zu den Goldmärkten der Welt veröffentlicht hat, mit der Sie sich hier bekanntmachen können.
Außerdem hat Manlys Kollege Koos Jansen Notiz davon genommen, dass eine Finanzdelegation aus Kasachstan einen Besuch bei der Shanghai Gold Exchange (SGE) abstattete, um Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen des “One Belt One Road“-Projekts zu diskutieren.
Falls Sie das interessiert, hier bitteschön.
Auf Platz 6 landen wir beim Handel. William Greider, Autor des Klassikers “Secrets of the Temple“, schreibt hier für “The Nation“ über einen Grund mehr, warum man den Ökonomen Paul Krugman außer als Group of 30-Salon Monkey nicht so wahnsinnig ernst nehmen sollte.
Auf Platz 5 gibt der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin bekannt, dass künftig kräftig in den Energietechnologiemarkt investiert wird. Dies bekommen Sie hier unter der Schlagzeile “Lockheed Martin forms energy group“ auf den Radar gesendet.
Auf Platz 4 weht uns “eiskalte Geopolitik“ ins Gesicht. Ist nämlich so, dass es zur Zeit in Norwegen ein NATO-Manöver unter der Bezeichnung „Cold Response“ („Kalte Antwort“) gibt. Und wenn Sie jetzt meinen: “Hm, interessant…“, dann erfahren Sie hier und hier mehr dazu.
Mit Kriegsinformationen in Sachen Jemen werden Sie hier eingedeckt, hier und hier mit solchen zu Syrien, und hier zu Libyen.
Dem Council On Foreign Relations wird im Übrigen nicht genug Geld fürs US-Militär ausgegeben, wie Sie hier ersehen.
Auf Platz 3 geht in den USA so langsam die Sorge um, Donald Trump könne tatsächlich US-Präsident werden. Zu diesem Themenkomplex habe ich eine kleine Zusammenstellung:
“The Resistible Rise of Donald Trump”;
“The Sea Island Conspiracy——The DeepState At Work”;
“Trump Warns ’There Will Be Riots’ If He’s Denied Nomination: ’Bad Things Would Happen’”;
“Why holding primaries? – Good question”;
“Boehner backs Paul Ryan for president”;
“Fed: will sie Donald Trump verhindern?“;
“Die Trumpifizierung der US-Medien“;
und:
“How Donald Trump Could Beat Hillary Clinton”.
Auf Platz 2 gehen wir noch einmal in die Geld-Ecke zurück, wo wir zur Kenntnis nehmen, dass Bloomberg der Modern Monetary Theory den roten Teppich ausbreitet. Unter der Überschrift “Ignored for Years, a Radical Economic Theory Is Gaining Converts” lesen wir dort, dass der Vorstellung, Defizitausgaben seien gefährlich, in den US-Debatten zunehmend an den Kragen gegangen wird. „Egal, ob es negative Zinsen sind oder ob es das Hubschrauber-Geld ist, bei dem frisch geprägtes Bargeld direkt an die Verbraucher geliefert wird, die Zentralbanken spähen in ihre Werkzeugkästen hinein, um zu sehen, was noch übrig ist. Trotz all ihrer Innovationen bleibt die wirtschaftliche Erholung innerhalb der industriellen Welt unterdurchschnittlich.
Die Forderung an die Regierungen, Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, werden immer lauter. Viele Ökonomen und Top-Geldmanager haben eingestimmt. Bridgewaters Ray Dalio, Chef des größten Hedge-Fonds der Welt, und Bill Gross von Janus Capital sagen, die politischen Entscheidungsträger fänden sich in die Enge getrieben und müssten auf größere Defizite zurückgreifen.“
Es setze sich die Überzeugung durch, dass der Geldpolitik die Munition ausgehe, meinte Thomas Costerg, ein Ökonom der Standard Chartered Bank in New York. „Der Schwerpunkt verlagert sich nun auf die Fiskalpolitik.“
Ginge es nach den Überzeugungen der sogenannten Modern Monetary Theory, hätte der Fokus dort die ganze Zeit über gelegen. “Diese in etwa 20 Jahre alte Lehre, am Rande ökonomischen Denkens gelegen, erhält mit ihrer unkonventionellen Auffassung von Staatsausgaben in Ländern mit eigener Währung Gehör.
Solche Länder, bringen die MMT-Vertreter vor, sehen sich keinem Risiko einer Fiskalkrise ausgesetzt. Sie mögen Schulden in, sagen wir, Dollar oder Yen haben – aber sie sind auch die Monopol-Schöpfer von Dollar oder Yen, so dass sie ihre Verpflichtungen stets erfüllen können. Aus dem gleichen Grund brauchen sie die Ausgaben nicht durch die Erhebung von Steuern oder den Verkauf von Anleihen zu finanzieren.“
Bislang sei auf MMT-Vertreter wenig gehört worden. „‘Sie sind aus den Zentralbanken ausgeschlossen, den Finanzministerien und den Schatzämtern der Welt‘, sagte Joe Gagnon, Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics in Washington und ehemaliger Ökonom des Federal Reserve-Vorstands. Gagnon teilt nicht alle MMT-Überzeugungen, denkt aber, dass es genügend Leerlauf in der Weltwirtschaft gibt, dass ‘es eine gute Zeit dafür wäre, dass sie Einfluss bekämen.“
Wieso, weshalb, warum das gut sein mag, können Sie hier weiter verfolgen.
Mein Freund Chris Powell in den USA streitet ab, dass es sich bei MMT um eine “radikale Idee“ handelt, wie er hier darlegt.
Die eigentliche Kritik, die an den Segnungen des Chartalismus geübt werden muss, so diese aus US-Mund propagiert werden, formulierte vor Jahren schon der Finanzanalyst Henry C.K. Liu.
Liu bestreitet schlankweg, dass das derzeitige System, mit dem wir zu leben haben, wahrhaft „Globalisierung“ genannt werden kann. Vielmehr handele es sich lediglich um „eine globale Expansion der US-Finanzhegemonie durch die Dollarhegemonie: die Beherrschung der globalen Wirtschaft durch die US-Nationalwährung.“ Die Dollarhegemonie ist demnach ein Strukturmerkmal bei Finanz- und Handelsaktivitäten rund um den Globus, welches darin besteht, dass a) „die USA Dollar produzieren“, und b) „der Rest der Welt Dinge produziert, die man mit Dollar kaufen kann.“ Als 1971 der damalige US-Präsident Richard Nixon das Bretton Woods-Regime aufkündigte, unter dem es einen goldgedeckten Dollar und feste Währungswechselkurse gegeben hatte, „legte der Dollar seinen Reservewährungs-Status für den Welthandel als Fiat-Währung theoretisch ab. Und doch ist der Dollar mehr als drei Jahrzehnte lang die Reservewährung für den Welthandel geblieben“, obwohl die Defizite beim Bundeshaushalt und Außenhandel der Vereinigten Staaten weiterhin chronisch sind und überdies eine dramatische Verwandlung stattgefunden hat: aus den USA ist die am meisten verschuldete Nation der Welt geworden. Die Krux daran formuliert sich so: „Eine Reservewährung für den Welthandel ohne die notwendige disziplinarische Absicherung ist in Wirklichkeit eine Steuer des ausgebenden Staates gegenüber allen anderen Staaten, die über diese Währung am Welthandel teilnehmen.
Die Staatliche Theorie des Geldes (Chartalismus) besagt, dass die Akzeptanz einer Währung fundamental auf der Macht eines Staates zur Erhebung von Steuern beruht.“ Die Währung einer Nation gründet auf der „Bereitschaft des Staates, die Währung, die er ausgibt, zur Bezahlung von Steuern zu akzeptieren“; dies macht die Währung zum legalen Zahlungsmittel. Und mehr noch: wenn die Währung das einzige Zahlungsmittel zur Entrichtung der Steuern ist, dann ist von vornherein eine direkte Nachfrage nach ihr gegeben. Die chartalistische Theorie des Geldes, heutzutage auch Modern Monetary Theory genannt, geht ferner davon aus, „dass alle Staaten kraft ihrer Befugnis zur Erhebung von Steuern, die in dem vom Staat vorgeschriebenen gesetzlichen Zahlungsmittel zu begleichen sind, keine externe Finanzierung benötigen“. Eine zu niedrig angesetzte Besteuerung führt dieser Denkschule zufolge zu einer niedrigen Nachfrage für die Währung, und ein chronischer Haushaltsüberschuss ist wirtschaftlich kontraproduktiv, weil er der Wirtschaft Kredit entzieht. Der Staat selber kann Geld schöpfen, und es wird ihm niemals ausgehen. Theoretisch vermag eine Volkswirtschaft zu wachsen, „ohne dass Kredite oder Investitionen aus dem Ausland erforderlich sind und ohne dass eine Hyperinflation droht. Allerdings funktioniert diese Theorie nur in geschlossenen monetären Wirtschaftssystemen. Länder, die am Freihandel in einem globalisierten System und insbesondere an unregulierten globalen Finanz- und Währungsmärkten teilnehmen, können aufgrund des Wechselkursdilemmas nicht nach chartalistischen Grundsätzen funktionieren. Jede Regierung, die ihre eigene Währung zur Finanzierung des Inlandsbedarfs über die Größe ihrer Devisenmärkte hinaus druckt, wird ihre Währung an den Devisenmärkten bald Angriffen ausgesetzt sehen, unabhängig davon, ob sie an einen festen Wechselkurs gekoppelt ist oder frei schwanken kann. Daher müssen alle Volkswirtschaften Dollar anhäufen, bevor sie ausländisches Kapital anziehen können. Selbst dann werden ausländische Kapitalgeber nur dann in den Exportsektor investieren, wenn sie Dollareinnahmen erzielen können. Doch die Dollar, die asiatische Volkswirtschaften aus Handelsüberschüssen anhäufen, können nur in Dollar-Aktiva in den Vereinigten Staaten investiert werden, wodurch den lokalen Volkswirtschaften das benötigte Kapital entzogen wird. Der einzige Schutz vor solchen Angriffen auf eine Währung besteht darin, die Konvertierbarkeit auszusetzen, was [aber] dann dazu führt, dass ausländische Investitionen ausbleiben.“
Damit solche Attacken ausbleiben sollten, sah das Bretton-Woods-System einen internationalen Handel mit festen, an einen goldunterlegten Dollar gekoppelten Wechselkursen vor. „Die festen Wechselkurse sollten nur allmählich und regelmäßig angepasst werden, um die relative Stärke der teilnehmenden Volkswirtschaften abzubilden. Nach den Grundsätzen des Chartalismus dient ausländisches Kapital keinem nutzbringenden binnenwirtschaftlichen Zweck außerhalb einer imperialistischen Agenda. Somit wird die Fähigkeit der Handelspartner der Vereinigten Staaten zur Finanzierung ihrer eigenen nationalen Entwicklung in ihren eigenen Währungen durch die Dollarhegemonie im Wesentlichen ,wegbesteuert‘, und sie sind dazu gezwungen, ausländische Kredite und Investitionen anzustreben, die auf Dollar lauten, welche die USA ‒ und nur die USA ‒ nach Belieben drucken können.“
Auf diesem Weg haben es die Vereinigten Staaten von Amerika vollbracht, die sogenannte Mundell-Fleming-These auszuhebeln, welche besagt, „dass ein Staat im Rahmen der internationalen Finanzierung die Wahl hat zwischen 1.) stabilen Wechselkursen, 2.) Kapitalmobilität und 3.) politischer Autonomie (Vollbeschäftigung/niedrige Zinsen, antizyklische Haushaltsausgaben usw.). Angesichts unregulierter globaler Märkte stehen einem Staat möglicherweise nur zwei dieser drei Optionen offen.“ Kraft der von ihnen ausgeübten Währungshegemonie konnten die USA ihren eigenen Dollar eine beträchtliche Zeit „deutlich über seinen realen wirtschaftlichen Wert halten, Kapitalbilanzüberschüsse erwirtschaften und eine einseitige politische Autonomie innerhalb eines globalisierten Systems unter dem Diktat der Dollarhegemonie ausüben. Die Gründe dafür sind komplex, doch die wichtigste Einzelursache ist, dass die Preisnotierungen aller wichtigen Rohstoffe, vor allem Erdöl, auf Dollar lauten, meist als Erweiterung der Supermacht-Geopolitik. Diese Tatsache ist der Dreh- und Angelpunkt der Dollarhegemonie. Und so ermöglicht die Dollar-Hegemonie die US-Finanzhegemonie, die ihrerseits den Amerikanischen Exzeptionalismus und Unilateralismus möglich macht.“
Wetten, dass die Herrschaften, die die Segnungen der Modern Monetary Theory / des Chartalismus in den USA anpreisen, bestimmt über Vieles reden möchten, aber genau darüber nicht?
Lius Essay erschien bereits im Sommer 2002, und zwar hier bei “Asia Times Online“ unter “China vs the almighty dollar“.
Worüber MMT-Vertreter ebenso ungern sprechen, ist der Vorgang, dass Geld durch Schulden geschaffen wird, wie hier bei Norbert Häring hervorgeht.
Und auf Platz 1 rangiert ein Artikel, den ich mir bei “Rogue Money“ zu Gemüte führte, “The Dragon Takes Flight“. Der Artikel befasst sich zunächst mit einer Website-Veröffentlichung, die in China über einen besonderen chinesischen Satelliten stattfand, und nimmt von dort ausgehend an Fahrt auf.
Viel Spaß damit hier.
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: Tom Jobim – Águas de Março.
São as águas de março fechando o verão
É a promessa de vida no teu coração…
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.
Nach mehrfacher Nutzung ihres Rückspiegels möchte ich nur kurz meinen Dank ausdrücken: während ich nicht jedem Artikel vollends zustimme (wer tut das schon ?) ist ein deutlich über einer Zufallsauswahl liegender Anteil der Artikel mindestens lesenswert.
Damit haben Sie mir einiges an Zeit gespart um zu interessanten Themen einen Einstieg abseits meines noch laufenden Mainstream-Abos zu finden, der i.d.R. einen Gutteil meiner offenen Fragen nach Mainstream-Lektüre behandelt oder zumindest aufgreift.
Inzwischen erwische ich mich dabei wie ich die Lektüre meines Abos gleich ganz unterlasse und auf z.B. ihrer Seite zuerst nachschaue.
Daher: Danke 🙂
vielen dank! bei der auswahl der artikel geht es mir nicht um zustimmung. davon mach ich das nicht abhängig. vielfach bin ich selber auch anderer meinung. ein journalist darf meiner auffassung nach seine eigene meinung gerne zuhause lassen. deswegen unterlasse ich auch zumeist eine kommentierung. ich finde, das steht mir nicht an, insofern ich mich an leute wende, von denen ich annehme, dass sie dinge schon selber mit sich ausmachen können.