China und Russland unternehmen recht erfolgreiche Schritte, die sicherstellen sollen, dass Washington keine unbeschränkte Macht mehr auf globaler Ebene ausübt. Das verfolgte Szenario ähnelt ein wenig der Mächtekonstellation, wie sie ein Jahrhundert lang nach der Niederlage Napoleons in Europa bestand.
Von Lars Schall
Es folgt ein übersetzter Auszug aus dem Artikel “American Power at the Crossroads – A Snapshot of a Multipolar World in Action”, verfasst von Dilip Hiro und hier am 11. Oktober 2016 auf der US-Website “Tom Dispatch“ erschienen. Dilip Hiro ist u.a. Autor des Buches After Empire: The Birth of a Multipolar World (Nation Books, 2012).
Die chinesischen und russischen geopolitischen Interessen konvergieren
Teilweise als Ergebnis der westlichen Sanktionen hat Russland seine wirtschaftlichen Beziehungen zu China gefestigt. Im Juni 2016 machte Putin seine vierte Reise nach Peking seit März 2013, als Xi Jinping chinesischer Präsident wurde. Die beiden Staats- und Regierungschefs betonten ihre gemeinsame Sichtweise auf die konvergierenden Handels-, Investitions- und geopolitischen Interessen ihrer Länder.
„Präsident Putin und ich stimmen gleichermaßen darin überein“, sagte Xi, „dass wir, wenn wir mit internationalen Umständen konfrontiert sind, die zunehmend komplex sind und sich ändern, noch stärker den Geist der chinesisch-russischen strategischen Partnerschaft und Zusammenarbeit von 2001 bewahren müssen.“ Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn zusammenfassend, bot Putin diese Einschätzung an: „Russland und China halten an Standpunkte fest, die sehr eng beieinander liegen oder auf internationaler Ebene nahezu identisch sind.“ Als Mitbegründer der Shanghai Cooperation Organization (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) im Jahr 1996 sehen sich die beiden Länder als eurasische Mächte.
Während seines Besuchs in Peking im vergangenen Juni zitierte Putin 58 Deals im Wert von 50 Milliarden Dollar, die von den beiden Regierungen diskutiert wurden. Russland war auch bereit, in Yuan angegebene Staatsanleihen auszugeben, um eine Milliarde Dollar aufzubringen, und Pläne zu erörtern, das nationale elektronische Zahlungsnetzwerk Chinas mit dem eigenen Kreditkartensystem zu verbinden. Die beiden Nachbarn sind bereits Partner in einem $ 400 Milliarden-Geschäft, bei dem das russische Energieunternehmen Gazprom China voraussichtlich mit Erdgas für die nächsten 30 Jahre versorgt.
Im Laufe von Putins Juni-Besuch forderte Xi eine engere Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Nachrichtenagenturen, so dass beide Länder „gemeinsam den Einfluss“ ihrer Medien auf die Weltöffentlichkeit erhöhen könnten. Tatsächlich hat jeder von ihnen bereits bedeutende Vorstöße im globalen Informationsstrom gemacht. In China begann die staatliche Verwaltung für Radio, Film und Fernsehen im Jahr 2001 ihr „Ausgeh“-Projekt durch China Central Television. 2009 verbreitete sie ihre Sendungen weltweit über Satellit und Kabel in Arabisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch.
Putin richtete 2006 RT als Marke von TV-Novosti ein, eine autonom-gemeinnützige Organisation der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, finanziert mit einem Budget von 30 Millionen Dollar. Er gab ihr den Auftrag, die russische Sichtweise auf internationale Ereignisse zu präsentieren. Seitdem bietet RT International rund um die Uhr Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Talkshows, Debatten, Sportnachrichten und Kulturprogramme in 12 Sprachen an, darunter Englisch, Arabisch, Spanisch, Hindi und Türkisch. RT America und RT UK haben seit 2010 und 2014 lokal-basierte Inhalte ausgestrahlt.
Mit einem jährlichen Budget von 300 Millionen Dollar in den Jahren 2013 bis 2014 blieb RT immer noch hinter der BBC World Service Group mit einem 367 Millionen-Dollar-Budget und Nachrichtensendungen in 36 Sprachen zurück. Bei einem Besuch der hochmodernen Studios in Moskau im Jahr 2013 forderte Putin seine Mitarbeiter auf, “das angelsächsische Monopol auf die globalen Informationsströme zu brechen“.
Chinas globale Macht-Projektion
Im Jahr 2010 startete Präsident Obama seine „Schwerpunktverlagerung nach Asien“-Strategie, um Chinas aufsteigende Macht einzudämmen.* Als Antwort darauf enthüllte Xi Jinping innerhalb von sechs Monaten, nachdem er Präsident geworden war, eine Blaupause für das ehrgeizige “Ein Gürtel-und-Eine-Straße“-Projekt seines Landes. Es verfolgte einerseits als Ziel die Neuordnung der geostrategischen Konfiguration der internationalen Politik, und andererseits die Förderung des wirtschaftlichen Wiederaufbau Eurasiens. Nach innen hin war es dazu bestimmt, Chinas übergroße Abhängigkeit von seinen Küstengebieten durch die Entwicklung seines westlichen Hinterlands in Balance zu bringen. Auch sollte es China, Südostasien, Südasien und Zentralasien mit einem Netz von Eisenbahnen und Energiepipelines nach Europa verknüpfen. Im Februar 2015 machte der erste Güterzug eine erfolgreiche 26.000 Kilometer lange Rundreise von der ost-chinesischen Stadt Yiwu nach Madrid in Spanien und wieder zurück – ein markantes Zeichen für sich ändernde Zeiten.
Um sein “Neues Seidenstraßen“-Projekt umzusetzen, gründete Peking 2014 den Seidenstraßenfonds und kapitalisierte ihn mit 40 Milliarden US-Dollar. Sein Ziel war die Förderung verstärkter Investitionen in die Länder entlang der verschiedenen Strecken des Projekts. Angesichts der chinesischen Währungsreserven im Wert von 3,3 Billionen US-Dollar im Jahre 2015 – gegenüber 1,9 Billionen US-Dollar im Jahre 2008 –, ist der Betrag bescheiden gewesen, und doch nimmt er sich entscheidend für Chinas futuristische Planung aus.
Im Januar 2015 gründete die chinesische Regierung auch die asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) in Peking. Zwei Monate später, dabei Washingtons Drängen ignorierend, wurde Großbritannien als erste große westliche Nation zum unterzeichnenden Gründungsmitglied. Frankreich, Deutschland und Italien folgten sofort hinterher. Keiner von ihnen konnte es sich leisten, die robuste wirtschaftliche Expansion Chinas zu vernachlässigen, die das Land unter anderem zur größten Handelsnation der Welt gemacht hat. Mit Importen und Exporten im Wert von 3,87 Billionen US-Dollar im Jahr 2012, überholte es die USA ($ 3,82 Billionen) und vertrieb sie von einer Position, die sie seit 60 Jahren gehalten hatte.
China ist heute der Handelspartner Nummer 1 für 29 Länder, darunter einige Mitglieder der 10-köpfigen Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Dies könnte erklären, warum sich die ASEAN nicht darauf verständigen konnte, die Philippinen, ein Mitglied, einstimmig zu unterstützen, als das Schiedsgericht beim Ständigen Schiedsgericht in Den Haag im Juli zu seinen Gunsten und gegen Chinas Ansprüche auf Rechte im Südchinesischen Meer entschied. Bald darauf kündigte China die Abhaltung einer 10-tägigen chinesisch-russischen Marine-Übung in diesen Gewässern an.
Das wachsende Bruttoinlandsprodukt (BIP) widerspiegelnd, stiegen die militärischen Ausgaben Chinas. Laut dem Pentagon-Jahresbericht über die chinesischen Streitkräfte ist Pekings Verteidigungshaushalt seit 2006 jährlich um 9,8% gestiegen und belief sich im Jahr 2015 auf 180 Milliarden US-Dollar oder 1,7% seines BIP. Im Gegensatz dazu betrug das Pentagon-Budget des Jahres 2015 rund 585 Milliarden US-Dollar, das sind 3,2% des US-BIP.
Bei den vier Zweigen seines Militärs konzentriert sich die chinesische Regierung aus offensichtlichen Gründen vor allem auf den Ausbau und die Verbesserung ihrer Seekapazitäten.
Eine Studie seiner Marinedoktrin zeigt, dass es dem klassischen Muster folgt, das von den Vereinigten Staaten, Deutschland und Japan im späten neunzehnten Jahrhundert gesetzt wurde, als sie danach strebten, globale Mächte zu werden. Zuerst kommt ein Fokus auf die Küstenverteidigung der Heimat; danach folgt zweitens die Sicherung ihrer Hoheitsgewässer und der Schifffahrt; und drittens steht der Schutz der wichtigsten Seefahrtwege an, die es für seine geschäftlichen Interessen nutzt. Für Peking ist die Sicherung der Seewege, mit denen das Öl des Persischen Golfs in die Häfen Südchinas gebracht wird, entscheidend.
Das ultimative Ziel und die vierte Phase des Prozesses einer aufstrebenden Weltmacht ist natürlich die Machtprojektion auf ferne Länder. Indem es derzeit die dritte Phase des Prozesses erreicht hat, legt China mit der maritimen Seidenstraßenprojekt, in dem Häfen in Burma, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan gebaut werden, das Fundament für sein endgültiges Ziel.
Das mittelfristige Ziel der chinesischen Marine besteht darin, das Monopol zu beschneiden, das die USA im Pazifik genossen haben. Sie baut ihre Flotte von U-Booten zu diesem Zweck rapide auf. Mittlerweile hat China auf 10 Jahre ein 90 Hektar großes Gelände in Dschibuti am Horn von Afrika gepachtet, um seinen ersten ausländischen Militärposten zu gründen. In krassem Kontrast dazu haben die USA laut dem neuesten Base Structure Report des Pentagon Basen in 74 Ländern. Die entsprechenden Zahlen für Frankreich und Großbritannien sind zehn und sieben. Ganz offensichtlich hat China einen langen Weg vor sich, um aufzuholen.
Die realistischen Ziele von China und Russland
Das globale Szenario, dass die bodenständigen Präsidenten Chinas und Russlands im Auge zu haben scheinen, ähnelt der Art der Machtverhältnisse, wie sie ein Jahrhundert lang nach der Niederlage Napoleons im Jahre 1815 in Europa bestanden. Nach diesem schicksalhaften Jahr beschlossen die Monarchen Großbritanniens, Österreichs, Russlands und Preußens, dass kein einziges europäisches Land jemals so mächtig werden dürfe, wie es Frankreich unter Napoleon gewesen war. Das daraus folgende europäische Konzert hielt dann von 1815 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914.
China und Russland versuchen nun sicherzustellen, dass Washington keine unbeschränkte Macht mehr auf globaler Ebene ausübt, wie es zwischen 1992 und Sommer 2008 der Fall war. Anfang August 2008, überwältigt von den zunehmenden Herausforderungen des Krieges in Afghanistan und der militärischen Besetzung des Irak, beschränkte sich die Bush-Regierung auf verbale Verurteilungen der russischen Militäraktionen, mit denen man Gelände zurückgewann, die der pro-westliche Präsident Georgiens, Mikheil Saakaschwili, durch einen grundlosen Angriff auf die abtrünnige Region Südossetiens erobert hatte.
Denken Sie an diese Episode als an ein wenig beachtetes Zeichen für das Ende eines unipolaren Planeten, auf dem sich die amerikanische Macht weitgehend unkontrolliert durchsetzte. Wenn das so ist, dann willkommen im neunten Jahr einer multipolaren Welt.
Anmerkung des Übersetzers:
* Für den Übersetzer gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie der von Obama verwendete Begriff “Pivot“ übersetzt werden kann. Die sich stellende Frage ist, aus welcher Mechanik das Bild herstammt. Dreh- und Angelpunkt (= Schwerpunkt), aber auch Scharnier bedeutet es bei Halford Mackinder. Zwei unverbundene Teile oder Elemente werden durch ein tragendes Bindeglied zusammengehalten.
Was Obamas Redenverfasser beim Verweis auf Pivot aus der historischen Schatzkiste hervorgezogen haben, dürfte die geopolitische Stellung, die den USA nach Alfred Thayer Mahan zukommt, sein.
Doch zurück zu Mackinder: Seinem Kategoriensatz nach (in den ersten Kapiteln von „Democratic Ideals and Reality“ ausgeführt) spricht er nichts anderes als einen Schlüsselbegriff des herausragenden, aber heute leider weitestgehend vergessenden Militärs Christian von Massenbach nach, namentlich den des Hypomochlion, und verlagert ihn auf den Teil Eurasiens, den er zur Weltinsel zählt. (Die geographische Weltinsel China blendet Mackinder dabei aus.)
Massenbach war ein Schulkollege Friedrich Schillers – und für ihn, den Württemberger, war das Preußen Friedrichs das Hypomochlion Europas. Im griechischen Wörterbuch steht das Verb für „mit Hebeln wegrücken, umwerfen“, das Nomen für „Hebel, Pfahl, Querriegel“.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass “Schwerpunkt“ in dem erläuterten Sinne unterschieden werden muss vom berühmten Schwerpunkt bzw. Schwerpunktprinzip, das die deutsche Wehrmachtsführung im Zweiten Weltkrieg als Operationsmodus für die Planung der “Blitzkrieg“-Strategie verfolgte. Im Englischen werden beide Begriffe denn auch folgerichtig ganz anders übersetzt: “focal point“ und “concentration principle“. Der entscheidende Unterschied: Schwerpunkt liegt hier ganz beim Mitteleinsatz des Angreifers; beim Angegriffenen ist es ein Schwachpunkt, eine weiche Flanke.
Abschließend: Pivot und alles was der Bedeutung nahekommt, ist eher Schwerpunkt im Sinne von “Halterung“.
Der militärische und diplomatische „pivot toward Asia“ ist ein Schlagwort, populär geworden nach einem Artikel von Hillary Clnton in Foreign Policy (Okt 2011). Dieser „pivot“ wird auch „rebalance“ genannt, was „wieder ins Gleichgewicht bringen“ bedeutet.
Im Zusammehang mit Mackinder findet man „pivot“ im Titel “ The geographical pivot of history“ für seinen Artikel in „The Geographical Journal“ (1904), wo es um Eurasien als geographische Weltinsel geht.
„Das globale Szenario, dass die bodenständigen Präsidenten Chinas und Russlands im Auge zu haben scheinen…“
Apropos „bodenständig“, hier ein Link …
http://www.pipr.co.uk/all/preparing-for-war-with-russia-and-china-the-u-s-quest-for-global-domination-depends-on-space-technology/
und ein Auszug…
THE “PIVOT TO ASIA”
I have been working on space issues for the last 33 years and today coordinate the Global Network Against Weapons & Nuclear Power in Space. We are very worried about aggressive US moves to create more conflict with Russia and China – in particular the Pentagon claim that the US Space Command should “control and dominate space and deny other nations the use of space”.
The dangerous notion of US ‘exceptionalism’ has now been extended to outer space. In order to successfully operate the current US global space war fighting system ‘downlink ground stations’ have been based around the world to relay military communications from one place to another via space satellites. Activists around the planet are opposing the presence of these Star Wars bases in their communities and are the active membership of the Global Network.
The US today is feverishly deploying so-called “Missile Defense” (MD) systems around the globe – essentially encircling Russia and China. Added to that is Obama’s provocative ‘pivot’ of 60% of US military forces into the Asia-Pacific – what the Pentagon calls ‘rebalancing’. This pivot is dangerous and hugely expensive, so costly that Washington’s allies in are being pressured to help pay for the program.