Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, über die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestolpert bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
willkommen bei Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf Geschichten und Veröffentlichungen zu 10 Themenbereichen präsentieren, die mir im Laufe der jeweils vorangegangenen Woche als wie auch immer beachtenswert auffielen.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 geht es so langsam, aber sicher nach 25 Jahren mit meinem Lieblings-TV-Serien-Charakter weiter, nämlich FBI Special Agent Dale Cooper, wie hier, hier, hier und hier festzustellen wäre.
Die beste Einführung in die Geschichte von Dale Cooper in Form eines Video-Essays bietet das Internet – meiner Meinung nach – übrigens hier, wohingegen ich hier die beachtlichsten Text-Essays zum Thema las.
Auf Platz 9 schauen wir uns Propaganda in elektronischen Mainstreammedien der Schweiz an, und zwar hier.
Auf Platz 8 nimmt Rainer F. Schmidt, Professor für Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Universität Würzburg, seit Längerem rege an der sogenannten Kriegsschulddebatte zum Ersten Weltkrieg teil. Wie er hier sagt, mache sich an der Frage, wer die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges trug, immerhin „fast die ganze geschichtswissenschaftliche Forschung über den Ersten Weltkrieg fest“.
Zum Kriegsschuld-Thema legt Schmidt dieser Tage eine Aufsehen erregende Veröffentlichung in der “Historischen Zeitschrift“ vor, in der Frankreichs Staatspräsident Raymond Poincaré eine gewichtige Mitschuld am Ausbruch der “Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zugesprochen wird. “Poincaré hat das Sprungbrett gezimmert für die Deutschen in den Krieg“, sagt Schmidt dazu hier.
Apropos Geschichte. Die englische Historical Writers’ Association hat sich die 19 Persönlichkeiten angeschaut, die seit 1916 den Topjob des Premierministerpostens im UK besetzten, und siehe da: Margaret Thatcher wurde von der 45-köpfigen Jury am schlechtesten befunden – wie hier steht.
Auf Platz 7 können Sie hier erkundschaften, welche Art von “sozialer Randgruppe“ gemeinhin das Personal für US-Regierungen bereitstellt.
Auf Platz 6 stellen wir uns hier dem “Odor of Desperation“, der über der politischen Landschaft der USA liegt, so das Thema “Hillary-Wikileaks-und-Russland“ betroffen ist.
Beim FBI stieß man bezüglich von Hillary Clintons Emails tatsächlich auf eine “Schattenregierung“, wie Sie hier ersehen.
Um eine geheime Bankenkabale, die rund um Hillary Clinton und Donald Trump eine Rolle spielt (oder auch nicht), geht es wiederum hier.
Auf Platz 5 sah ich mir für gewisse Buchrecherchen ein paar Informationen zum Zusammenhang “9/11 – al-Qaida – Irak und Saddam Hussein“ an, den die Bush-Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stricken wollte.
Bezüglich der 9/11-Angriffe auf New York und Washington nahm George W. Bush sogleich an, dass Saddam Hussein beteiligt gewesen sein musste. (Siehe dazu hier die Seite 334 des 9/11-Kommissionsberichts.) Dasselbe traf auf Verteidigungsminister Rumsfeld zu, der die Joint Chiefs of Staff anwies, nach Beweisen zu suchen, die einen Angriff sowohl auf Saddam Hussein als auch Osama bin Laden rechtfertigen würden. Zudem sollte Pentagon-Rechtsanwalt Jim Haynes Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz kontaktieren, um Informationen zu erhalten, die Iraks Machthaber und al-Qaidas Anführer miteinander verbänden. (Siehe dazu hier.)
Am nächsten Tag, als sich Mitarbeiter des nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus trafen, machten sich Rumsfeld und Wolfowitz für einen Angriff auf den Irak stark. Unter anderem sagte Rumsfeld, der Irak böte bessere Ziele als Afghanistan. Bush unterstützte die Regimewechsel-Absichten für den Irak. Als Anti-Terror-Berater Richard Clarke dem Präsidenten gegenüber erklärte, dass die Geheimdienste bisher keinen Beweis für eine Verbindung von al-Qaida und dem Irak gefunden hätten, schien Bush irritiert zu sein. Am Tag darauf gab Bush der Central Intelligence Agency die Order, sie solle nach einer möglichen Verwicklung des Irak in die 9/11-Angriffe suchen. Das Pentagon wurde angehalten, Pläne und Kostenschätzungen für einen Krieg im Irak vorzulegen.
Vier Tage später bestand Bush abermals darauf, dass Notfallpläne für den Angriff auf den Irak vorbereitet werden müssten, einschließlich eines Plans, die irakischen Ölfelder zu beschlagnahmen.
Am folgenden Tag berichtete Richard Clarkes Büro, dass zwischen al-Qaida und der damaligen Regierung in Bagdad ein breiter ideologischer Graben bestünde.
Im täglichen Briefing der CIA, das an den Präsidenten am 21. September ging, hieß es, die Geheimdienste der USA besäßen keinen Beweis für eine Irak-Verbindung mit 9/11 oder für irgendeine bedeutende Kooperation des Irak mit al-Qaida.
Am 29. September forderte Rumsfeld die Joint Chiefs of Staff auf, Kriegsoptionen für den Irak mit zwei Zielen vorzubereiten: die Suche nach Massenvernichtungswaffen und einen Regimewechsel.
Diese von mir übersetzten Angaben fand ich hier in dieser Veröffentlichung des National Security Archive vom 22. September 2010.
In den folgenden zwei Jahren wurde Saddam Hussein zwar nie direkt von George W. Bush beschuldigt, in die Angriffe auf New York City und Washington DC verwickelt gewesen zu sein; „aber er hat die beiden in Grundsatzreden, die seit dem 11. September gehalten wurden, wiederholt miteinander verbunden. Führende Mitglieder seiner Regierung haben die beiden ähnlich miteinander verrührt.“
Eine Umfrage, die im Sommer 2003 erschien, legte schließlich nahe, dass rund Zweidrittel der US-Bevölkerung überzeugt war, der irakische Machthaber Saddam Hussein sei persönlich an den 9/11-Angriffen beteiligt gewesen.
Diese Feststellungen aus dem September 2003 fand ich wiederum hier bei der BBC vor.
Der Untersuchungsbericht eines Ausschusses des Repräsentantenhauses, der im März 2004 über den Irakkrieg erschien, wies der US-Regierung „237 irreführende Aussagen über die Bedrohung durch den Irak“ nach, darunter Erklärungen von Bush, Cheney, Rumsfeld, Powell und Rice. Heruntergebrochen wurden diese Aussagen „in insgesamt 125 Reden, 26 Pressekonferenzen und Briefings, 53 Interviews, 4 schriftlichen Erklärungen und 2 Aussagen vor dem Kongress gemacht“. 61 Aussagen “stellten Iraks Verbindung zu al-Qaida falsch dar“.
McClatchy berichtete später, die Bush-Regierung habe „unermüdlichen Druck“ ausgeübt, damit bei Verhören “harte Methoden“ gegen Gefangene eingesetzt würden, “um Beweise für die Zusammenarbeit zwischen al Qaida und dem Regime des irakischen Diktators Saddam Hussein zu finden“.
Lawrence Wilkerson, der Stabschef von Colin Powell im US-Außenministerium, urteilte, dass die harschen Verhörmethoden, die gegen Gefangene des “War on Terror“ ausgeübt wurden, nicht primär darauf abzielten, “einem weiteren terroristischen Angriff auf die USA zuvorzukommen, sondern um einen eindeutigen Beweis zu entdecken, der Irak und al-Qaida verbinden würde“.
Der ehemalige CIA-Analyst Paul Pillar schließlich schrieb in seinem Buch “Intelligence and U.S. Foreign Policy – Iraq, 9/11, and Misguided Reform“: „Die angebliche Allianz zwischen dem Regime von Saddam und al-Qaida hat die Entscheidung der Bush-Regierung, den Krieg [im Irak] zu starten, nicht angetrieben, da die Regierung keine Anzeichen dafür erhielt, dass eine solche Allianz existierte“. Gleichwohl habe “diese Tatsache die Regierung nicht davon abgehalten, die Vorstellung einer solchen Allianz öffentlich zu fördern“.
So steht es hier geschrieben.
Auf Platz 4 lieh ich (abermals für gewisse Buchrecherchen) dem US-Politikwissenschaftler Mike Lofgren meine Aufmerksamkeit. In einer Buchbesprechung, die letztes Jahr im Magazin “Washington Monthly“ erschien, behandelte Lofgren den “Krieg gegen den Terror“ als sich selbst-erhaltendes “Geschäftsmodell“.
Von James Risen, einem Korrespondenten der NY Times (und Mitglied des Council on Foreign Relations, CFR), las Lofgren das Buch “Pay Any Price: Greed, Power, and Endless War“. Dort bringt Risen vor, dass der “Krieg gegen den Terror“, der längste in der US-Geschichte, das „reine Nirvana für die Gierigen und Skrupellosen“ sei. “Was auch immer die Architekten des Krieges gegen den Terrorismus“ gemeint gehabt hätten, “der Irakkrieg entwickelte sich rasch innerhalb des eisernen Käfigs der öffentlich-privaten Ökologie Washingtons zu einer Gelegenheit“, aus den üppig fließenden Staatsgeldern erkleckliche Summen für Akteure der Privatwirtschaft und Bürokratie herauszuschlagen.
Die Bush-Regierung habe im Irak ein sich selbst-erhaltendes System geschaffen: “die Maßnahmen zum Kampf gegen den Terrorismus brachten mehr Terroristen hervor, was den Behörden wiederum mehr Geld für den Krieg gegen den Terrorismus einbrachte. Der gleiche Prozess war bezüglich Folter und Drohnenangriffe am Werk.“ Für Akteure der Privatwirtschaft und Bürokratie sei das “ein großartiges Geschäftsmodell“; als “eine nationale Überlebensstrategie“ eigne es sich jedoch weit weniger.
Profiteure des “Kriegs gegen den Terror“ finden sich derweil nicht allein im Westen. “Entgegen der landläufigen Meinung stammt Reichtum im Nahen Osten nicht mehr nur vom Öl. Risen zeigt uns, wie der Geysir des amerikanischen Geldes nach 9/11 Horden von Nahost-Waffenhändler, Informanten, Geldwäscher, Mafiosi und nicht wenige Terroristen finanziert.“ Am Ende dürften manche “Mindestlohn-Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten der Preis“ sein, “den die Amerikaner für Villen in Beirut und Amman zahlen“, ohne davon recht zu wissen.
Mehr dazu hier unter “Operation Rent Seeking – How the war on terrorism became a business model”.
Auf Platz 3 betreten wir die Wissenschafts-Ecke. Dort habe ich vier Sachen für Sie untergebracht:
“NASA Testing Electric Aircraft Technologies“;
“A Nonlinear History of Time Travel”;
und:
eine Folge aus der Sendereihe „Fragen an den Autor“, im Radio gesendet am 29. September 1974. Damals zu Gast: Erich Fromm, der Rede und Antwort zu einem Buch stand, das ich gelesen und noch immer hier in meinen vier Wänden herumfliegen habe: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“. Die Fragenstellung, um die Fromms Gedanken hier kreisen, lauten u.a.: “Warum haben Menschen Freude an Zerstörung? Wie entsteht bösartige Aggressivität? Was ist angeboren, was gesellschaftlich erzeugt oder verstärkt?“
Auf Platz 2 folgen Veröffentlichungen zu den Themen Wirtschaft und Finanzen:
“The privilege of being privileged”;
“Saudi Arabia: Give Us Your Money and Stop Asking About Oil”;
“Saudi Arabia enters the bond market, seeking $17.5 billion”;
“U.S. Oil And Gas Is Changing To Survive”;
“Fed risks repeating Lehman blunder as US recession storm gathers”;
“Saudis, China Dump Treasuries; Foreign Central Banks Liquidate A Record $346 Billion In US Paper”;
“Deutsche Bank to pay $38 million in U.S. silver price-fixing case”;
“China, Singapore boost gold pricing campaign in push for Asia”;
sowie:
“Singapore makes another bid for Asia to help set gold price”.
Und auf Platz 1 betrachten Stephen F. Cohen und John Batchelor in New York wieder den “fröhlichen Marsch Richtung Weltkrieg 3“ für uns. Laut Cohen befinden wir uns mittlerweile in einer “narkotischen Trance des Krieges“ und es stelle sich die Frage, wer eigentlich in Washington die Politik gegenüber Russland lenke – aber lauschen Sie doch hier selber rein.
Zum angekündigten Cyberangriff aus den USA, über den Cohen und Batchelor ebenfalls sprechen, äußert sich Vladimir Putin hier.
Der britische General Richard Shirreff, einstmals der Stellvertreter des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), malt hier bei CNN buchstäblich die atomare Vernichtung Europas an die Wand, wenn er meint: “Putin’s aggression in Europe should worry the US”.
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: MAURICE RAVEL – Daphnis et Chloé, 2e Suite, I. Lever Du Jour.
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.