Seit Jahren befinden sich die Bilanzen des US-Verteidigungsministeriums außer Rand und Band. Der Geldbetrag, über dessen Verbleib das Pentagon nichts Genaues zu sagen weiß, geht weit in den Bereich von Billionen von US-Dollar.
Von Lars Schall
Die Buchführung beim Pentagon befindet sich seit Jahren außer Rand und Band. So hatte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am Montag, dem 10. September 2001 auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben, dass sich das US-Verteidigungsministerium außerstande sähe, den Verbleib von stolzen 2,3 Billionen US-Dollar aus seinem Haushaltsbudget aufzuklären – ehe dann American Airlines Flug 77 am nächsten Morgen in jenen Gebäudeflügel des Pentagon stürzte, in welchem einigen Angaben zufolge die Büros der Buchhaltungsabteilung untergebracht gewesen sein sollen. (1) Zweifelsohne befanden sich unter den Toten, die im Pentagon zu beklagen waren, zivile Bilanzprüfer des Resource Services Washington, die für die U.S. Army arbeiteten. Tatsächlich wird berichtet, dass keine Einheit, die im Pentagon-Gebäude untergebracht war, mehr Personal durch den 9/11-Angriff verlor, als Resource Services Washington: von ihren fünfundsechzig Angestellten, die im Pentagon beschäftigt waren, starben am 11. September 2001 mehr als die Hälfte, genauer: vierunddreißig Arbeitnehmer. (2)
Auf der erwähnten Veranstaltung vom 10. September 2001 sagte Donald Rumsfeld: „Das Thema heute ist ein Gegner, der eine Bedrohung, eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika darstellt.“ Dieser Gegner sei eine „der letzten Bastionen“, die in der Welt an „zentraler Planung“ noch existiere. Sie regiere durch das Diktat von „Fünfjahresplänen“ und versuche „von einer einzigen Hauptstadt aus ihre Forderungen über Zeitzonen, Kontinente, Ozeane und darüber hinaus durchzusetzen. Mit brutaler Konsequenz erstickt sie freies Denken und zerbricht neue Ideen. Sie stört die Verteidigung der Vereinigten Staaten und gefährdet das Leben von Männern und Frauen in Uniform.“ Der Gegner, von dem die ernste Bedrohung ausginge, sei „die Pentagon-Bürokratie“, erklärte Rumsfeld. „Die Technologie-Revolution hat Organisationen in der Privatwirtschaft verwandelt, aber nicht unsere, nicht vollständig, noch nicht. Wir sind, wie man zu sagen pflegt, in unserer Ankerkette verheddert. Unsere Finanzsysteme sind Jahrzehnte alt. Nach einigen Schätzungen können wir 2.3 Billionen US-Dollar in Transaktionen nicht aufspüren. Wir können Informationen in diesem Gebäude nicht von Stockwerk zu Stockwerk teilen, weil sie sich auf Dutzenden von technischen Systemen gespeichert befinden, die nicht zugänglich oder nicht kompatibel sind.“ (3)
Das Problem mit den 2,3 Billionen US-Dollar, deren Verbleib beim Pentagon als ungeklärt deklariert wurde, war im politischen Washington DC freilich geläufig. Als er im Januar 2001 als angehender Verteidigungsminister im Senat Rede und Antwort stand, wurde Donald Rumsfeld auf das Problem ausdrücklich angesprochen. Rumsfeld vertrat die Meinung, dass dem Pentagon für die Modernisierung des US-Militärs zusätzliche 50 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden sollten. Der demokratische Senator Robert Byrd wollte von Rumsfeld erfahren, wie man einen Anstieg des Verteidigungsbudgets von 50 Milliarden US-Dollar erwägen könne, wenn die Buchhalter des Verteidigungsministeriums nicht in der Lage seien, den Verbleib von 2,3 Billionen US-Dollar in Transaktionen während nur eines Jahres zu erfassen. Rumsfeld daraufhin: „Senator, ich habe einiges davon gehört und gelesen, dass das Ministerium nicht in der Lage ist, seine Bilanzen zu prüfen. Das ist – ich wollte gerade ,erschreckend‘ sagen.“ (4)
Das „erschreckende“ Problem wurde in einer Senatsanhörung am 13. Februar 2001 vom republikanischen Senator Chuck Grassley etwas genauer gefasst. Mit Verweis auf bestimmte Berichte sprach Grassley davon, dass das Pentagon „die Kontrolle über das Geld auf der Transaktionsebene verloren“ habe. Da es keine Kontrolle auf der Transaktionsebene gäbe, sei es „physisch unmöglich, die Zahlen in einer Finanzbilanz aufzustellen“, die einer Bilanzprüfung standhalten könne. (5)
Im April 2001 hieß es in einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums, es sei „eine radikale Umgestaltung des Finanzmanagements“ erforderlich. Für die Bilanz des Fiskaljahrs 1999 gelangten die Rechnungsprüfer zu dem Schluss, dass die eingetragene Gesamtsumme 7.6 Billionen US-Dollar betrug; davon konnten „Transaktionen im Wert von 2,3 Billionen US-Dollar ,nicht untersützt‘ werden“. (6)
Dov Zakheim, ein Mitglied des Project for a New American Century (PNAC), wechselte im Mai 2001 von seiner bisherigen Chef-Position bei SPC International zum Pentagon, um dort als Rechnungsprüfer anzuheuern. Seine ausdrückliche Aufgabe sollte es sein, sich dieses „erschreckenden“ Problems anzunehmen. (7)
In den Griff wurde das „erschreckende” Problem aber zu keiner Zeit bekommen, da das Pentagon „niemals einer Auditierung unterzogen wurde“, wiewohl seit 1996 eine dahingehende gesetzliche Verpflichtung bestand. Von 1996 bis Ende 2013 kamen laut Informationen von Reuters „rund 8,5 Billionen US-Dollar an Steuergeldern“ zusammen, die als „vermisst“ galten. (8) Und zweieinhalb Jahre später wurde berichtet, dass das Pentagon nichts Genaues über den Verbleib von weiteren 6.5 Billionen US-Dollar sagen könne. (9)
Eine Buchführung außer Rand und Band.
QUELLEN:
(1) Zu der Pressekonferenz von Donald Rumsfeld am 10. September 2001 siehe: “DOD Acquisition and Logistics Excellence Week Kickoff—Bureaucracy to Battlefield. Remarks as Delivered by Secretary of Defense Donald H. Rumsfeld, The Pentagon, Monday, September 10, 2001“, veröffentlicht auf der Website des US-Verteidigungsministeriums unter: http://www.defense.gov/speeches/speech.aspx?speechid=430. Der Autor E.P. Heidner behauptet, dass das Office of Naval Intelligence (ONI), der Marinenachrichtendienst der USA, mehrere Untersuchungen im Zusammenhang mit verdächtigen Finanztransaktionen im Anleihemarkt betrieben habe, deren Akten ebenfalls in dem Pentagon-Bereich untergebracht gewesen seien, der an 9/11 direkt attackiert worden war. Siehe E.P. Heidner: “Collateral Damage: U.S. Covert Operations and the Terrorist Attacks on September 11, 2001”, veröffentlicht auf Scribd unter: https://de.scribd.com/doc/9442970/Collateral-Damage-U-S-Covert-Operations-and-the-Terrorist-Attacks-on-September-11-2001-28062008.
(2) Vgl. Stephen Barr: “Hard-Hit Pentagon Office Carries On in Aftermath of Terror Attack”, veröffentlicht von The Washington Post am 11. September 2002 unter: https://www.washingtonpost.com/archive/local/2002/09/11/hard-hit-pentagon-office-carries-on-in-aftermath-of-terror-attack/763063ed-9db0-4119-abc7-5516bf8c3f5b/?utm_term=.bf5c09e92302.
(3) Vgl. “DOD Acquisition and Logistics Excellence Week Kickoff”, a.a.O. Zur Auffassung Rumsfelds, dass von der „Pentagon-Bürokratie“ eine „ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der USA“ ausgehe, siehe auch Nate Jones: “Rumsfeld Snowflakes Come in from the Cold”, veröffentlicht von National Security Archive am 24. Januar 2018 unter: https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/foia/2018-01-24/rumsfeld-snowflakes-come-cold.
(4) Vgl. “Defense Secretary Nomination Hearing”, veröffentlicht von C-SPAN am 11. Januar 2001 unter: http://www.c-span.org/video/?161702-1/defense-secretary-nomination-hearing.
(5) Vgl. “Transforming Department of Defense. Financial Management. A Strategy for Change. Final Report”, veröffentlicht vom US-Verteidigungsministerium am 13. April 2001 unter: http://www.defense.gov/news/jul2001/d20010710finmngt.pdf.
(6) Ebd. “While DoD may debate some of the criticisms of its financial statements and the size and components of the $2.3 trillion issue, we think that corrective action requires radical financial management transformation. For the FY 1999 financial statements, the auditors concluded that $2.3 trillion transactions of the $7.6 trillion entries to the financial statements were ’unsupported’.”
(7) Vgl. “Defense Department Budget”, veröffentlicht von C-SPAN am 16. Juli 2001 unter: http://www.c-span.org/video/?165179-1/defense-department-budget.
(8) Vgl. Scot J. Paltrow: “Why the Pentagon’s many campaigns to clean up its accounts are failing”, veröffentlicht von Reuters am 23. Dezember 2013 unter: http://www.reuters.com/investigates/pentagon/#article/part3. Darin hieß es: „The Pentagon (…) has never been audited, leaving roughly $8.5 trillion in taxpayer dollars unaccounted for since 1996, the first year it was supposed to be audited.” Zur Tatsache, dass das Pentagon in den Jahren 1996 bis 2017 nie auditiert wurde, siehe auch Thomas Hedges: “The Pentagon has never been audited. That’s astonishing”, veröffentlicht von The Guardian am 20. März 2017 unter: https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/mar/20/pentagon-never-audited-astonishing-military-spending.
(9) Vgl. Jay Syrmopoulos: “Pentagon Cannot Account For $6.5 Trillion Dollars”, veröffentlicht von Global Research am 16. August 2016 unter: http://www.globalresearch.ca/pentagon-cannot-account-for-6-5-trillion-dollars/5541244. Darin hieß es: “The Defense Finance and Accounting Service (DFAS), the behemoth Indianapolis-based agency that provides finance and accounting services for the Pentagon’s civilian and military members, could not provide adequate documentation for $6.5 trillion worth of year-end adjustments to Army general fund transactions and data.” Einer Berechnung zufolge, die von Dr. Mark Skidmore, der Wirtschaftswissenschaften an der Michigan State University lehrt, und der Investmentberaterin Catherine Austin Fitts stammte, kamen in den Jahren zwischen 1998 bis 2015 beim Pentagon und dem US-Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (HUD) rund 21 Billionen US-Dollar zusammen, von denen nicht gesagt zu werden vermag, was mit ihnen geschah bzw. wo sie verblieben sind. Vgl. Laurence Kotlikoff: „Has Our Government Spent $21 Trillion Of Our Money Without Telling Us?“, veröffentlicht von Forbes am 8. Dezember 2017 unter: https://www.forbes.com/sites/kotlikoff/2017/12/08/has-our-government-spent-21-trillion-of-our-money-without-telling-us/.