Das Red Team der FAA und 9/11

Das Red Team der zivilen Luftfahrtbehörde der USA war die „einzige Organisationseinheit in der gesamten Bundesregierung, die aktiv versuchte, die Anschläge vom 11. September zu verhindern.“

Von Lars Schall

Achtung: Das Eingangsstatement, das Bogdan Dzakovic am 22. Mai 2003 gegenüber der 9/11-Kommission abgab, kann hier angeschaut werden.

Das Red Team der FAA und 9/11

Wenn das, was wir unter der Chiffre „9/11“ kennen, im wesentlichen Element mit der Entführung von Flugzeugen zu tun hatte, muss gefragt werden, wie es überhaupt zu den Entführungen kommen konnte. Oder aus Risiko-Management-Perspektive formuliert: Wie wahrscheinlich ist eine Flugzeugentführung, und zwar basierend darauf, wie schwer oder leicht es ist, die Sicherheitsvorkehrungen zur Verhinderung einer Flugzeugentführung zu überwinden? Lassen sie sich nur sehr schwer überwinden, fällt die Wahrscheinlichkeit gering aus; ist ihre Überwindung sehr leicht zu bewerkstelligen, steigt die Wahrscheinlichkeit entsprechend an. Die Wahrscheinlichkeit nimmt ferner zu, wenn zwar bekannt ist, dass die Überwindung der Sicherheitsvorkehrungen leichtfällt, aber nichts unternommen wird, um die Problemlage zu beseitigen.

Zur Untersuchung von Schwachstellen und Lücken bei den Sicherheitsvorkehrungen unterhielt die US-Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Administration) ein sogenanntes „Red Team“, deren Mitglieder es gewohnt waren, die Dinge aus „Feindessicht“ zu betrachten: ihre Aufgabe bestand darin, in die Rolle von Flugzeugentführern / Terroristen zu schlüpfen, um zu versuchen, alle Barrieren zu überwinden, die einer Flugzeugentführung und / oder dem Mitbringen einer Bombe (sowie anderer Waffen) im Wege stehen. „Ein Red Team ist per Definition ein gegnerisches Team, das dazu gedacht ist, den Guten ein realistisches Training gegen die Art und Weise zu geben, in der die Bösen operieren.“ (1) Zum Aufgabenbereich von Mitgliedern eines Red Team gehört es, über den Tellerrand des Üblichen hinauszuschauen. Sie müssen Voreingenommenheiten überwinden und ein achtsames Auge dafür entwickeln, was schlecht läuft und besser gemacht gehört. Die Fähigkeit, wie der Feind denken zu können, ist dafür wesentlich, und manche Red Team-Mitglieder wenden ähnliche Methoden an, durch die es professionellen Charakter-Schauspielern ermöglicht wird, sich in die Gedanken und Identitäten eines anderen Menschen hineinzuversetzen. (2) Für Mitglieder von Red Teams gilt es, weitestgehend eins mit dem Feind zu werden, um realitätsnah agieren zu können.

Ein Anführer des FAA Red Team zum Zeitpunkt des 11. September 2001 war Bogdan Dzakovic. Im Zuge einer öffentlichen Anhörung der 9/11-Kommission, die am 22. Mai 2003 abgehalten wurde, gab Dzakovic zu Protokoll: „[I]ch werde immer schockiert und erstaunt sein, wenn ich höre, wie Leute, die in diesem Bereich [der Luftfahrtsicherheit] arbeiten, sagen, dass 9/11 eine völlig unvorhersehbare Situation war.“ Er führte drei Gründe dafür an: „Erstens war der Luftfahrtbereich (…) schon immer das bevorzugte Ziel des Terrorismus, und zwar bereits seit den 1960er Jahren, und das aus einer Reihe von Gründen. (…) Der zweite Grund ist, dass die nachrichtendienstlichen Informationen so umfangreich waren, dass etwas passieren würde, und ich gebe zu, dass wir nicht wussten, wann und wo, aber es würde etwas passieren, etwas in naher Zukunft. (…) [I]ch möchte auch eine Aussage des ehemaligen stellvertretenden FAA-Sicherheitsbeauftragten vom 6. April 2000 vorlesen. Das war das Komitee für Handel, Wissenschaft und Verkehr, Unterausschuss für Luftfahrtsicherheit. Und ich zitiere: ,Darüber hinaus sind in den Vereinigten Staaten Mitglieder ausländischer terroristischer Gruppen und Vertreter staatlicher Sponsoren des Terrorismus anwesend. Es gibt Beweise dafür, dass einige ausländische Terrorgruppen hier über gut ausgebaute Fähigkeiten und Infrastrukturen verfügen.‘ (…) Drittens haben wir im Red Team bewiesen, dass die FAA nicht einmal ihre eigenen Mindeststandards für die Luftsicherheit durchgesetzt hat. Wenn Sie alle drei zusammengenommen haben – für mich ist das so, als würde man zwei plus zwei addieren und vier bekommen -, dann sollten wir vielleicht etwas tun, um die Sicherheit zu erhöhen.“

Dzakovic erinnerte die ihm zuhörenden Kommissionsmitglieder daran, dass am 11. September vom Logan International Airport in Boston zwei Flugzeuge starteten, welche bei den Angriffen eine Rolle spielten. Diesbezüglich erzählte Dzakovic von einem Dokument, das im Mai 1999 von einem FAA-Agenten geschrieben wurde, der an jenen Flughafen beschäftigt war. Das Dokument sei verfasst worden, „als der Agent so frustriert wurde, das System, das FAA-System, durchzuarbeiten, dass die Person zum Büro des Generalinspekteurs ging und ein sehr ernstes Problem am Bostoner Logan-Flughafen beschrieb. (…) Und ich zitiere: ,Infolge dieser Situation befindet sich der Logan International Airport in einem kritischen Zustand der Nichteinhaltung der bundesstaatlichen Luftsicherheitsvorschriften.‘“ Gleichwohl habe das Büro des Generalinspekteurs keine Maßnahmen ergriffen, um die dortigen Sicherheitsmängel zu beheben.

Seine Karriere bei der FAA begann Dzakovic Ende der 1980er Jahre. „Als ich rekrutiert wurde, sagte man mir, dass die FAA nach geeigneten Leuten mit militärischem und strafverfolgungstechnischem Hintergrund suchte, um mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu beginnen. Es gab also absolut keinen Zweifel daran, dass unser Auftrag darin bestand, den Terrorismus zu bekämpfen, so wie er sich auf die Luftfahrtindustrie bezog.“

Als Anführer des Red Team stieß Dzakovic auf ein dreigliedriges, sich über Jahre hinziehendes Problem: Es gab erhebliche Sicherheitsprobleme; diese wurden nicht behoben; und innerhalb des Systems dagegen anzugehen, „war ein sinnloses Unterfangen, denn Kritik wird in der FAA nicht akzeptiert. Das ist Teil der Kultur. Und ich wurde so frustriert, dass ich mich einem anderen (…) ehemaligen Leiter des Red Teams anschloss, der ähnliche Probleme wie ich hatte (…). [S]ein Name ist Steve Elson. (…) [W]ir begannen, zum Büro des Generalinspekteurs zu gehen, um zu versuchen, sie dazu zu bringen, etwas gegen diesen traurigen Zustand der Luftsicherheit zu unternehmen. Und sie taten nichts. Dann sprach ich mit einem hochrangigen Beamten im Büro des Generalinspekteurs, und er erklärte mir, dass Mary Schiavo, als sie Generalinspektorin (…) war, eine sehr aggressive Haltung gegenüber der FAA hatte, und dass dies eine Menge politischer Probleme verursachte.“ Der Beamte gab Dzakovic zu verstehen, man verfolge nach Schiavos Rücktritt nunmehr „einen freundlicheren, sanfteren Ansatz im Umgang mit Problemen der FAA.“ Bei einem späteren Treffen im Büro des Generalinspekteurs soll der gleiche Beamte (namens Todd Zinser) Dzakovic gar mitgeteilt haben, dass man nichts gegen die FAA-Leitung zu unternehmen vermöge, „es sei denn, ich würde ihm eine Leiche und einen eindeutigen Beweis [Smoking Gun] liefern. Nun, ich behaupte, er hat jetzt fast 3000 Leichen und einen eindeutigen Beweis von der Größe einer Kanone, und sie haben noch immer keine Maßnahmen gegen irgendjemanden in der FAA wegen der schlechten Art und Weise ergriffen, in der sie die Sicherheitsvorkehrungen durchführten.

Wie auch immer, das Leben ging weiter, und wir fuhren mit den Tests im ganzen Land und in der ganzen Welt fort, und ich war wahrscheinlich in etwa 30 Ländern auf der ganzen Welt, um mir ihre Sicherheitssysteme anzuschauen und zu sehen, wie sich das auf unsere Luftfahrtindustrie auswirkte. Aber dennoch gab es keine Verbesserung der Sicherheit. Und wir sind dann zum General Accounting Office [GAO] gegangen und haben versucht, sie dazu zu bewegen, etwas für die Luftsicherheit zu tun. Damals war ich mir dessen nicht bewusst (…), aber das GAO hat seine eigene lange Geschichte von Berichten, die 20 Jahre zurückreichen und dokumentieren, wie schlecht die Luftsicherheit ist. (…) Als ich dann merkte, dass ich nicht weiterkam, schickte ich im August 1998 einen Brief an Administratorin Garvey und versuchte ihr zu erklären, dass es in der Sicherheit der Zivilluftfahrt eine ernsthafte Kultur des groben Missmanagements gibt. Sie war nicht einmal so höflich, auf meinen Brief zu antworten, geschweige denn, etwas dagegen zu unternehmen. Ich schickte (…) eine Kopie des Briefes zur gleichen Zeit an den Verkehrsminister Rodney Slater, und er besaß zumindest die Höflichkeit, auf meinen Brief zu antworten, und er riet Jane Garvey, sich mit einigen meiner Probleme zu befassen, aber es gab nie Folgemaßnahmen, und es ist nie etwas daraus geworden.“

Noch mehr Zeit verging, und Dzakovic stellte fest, dass das Red Team sich im Grunde aus dem Job, den es erledigen sollte, zunehmend herausarbeitete: Immer dann, wenn es auf bedrohliche Schwachstellen bei den Sicherheitsvorkehrungen stieß, wie zum Beispiel an Kontrollpunkten, durfte es keine weiteren dahingehenden Tests durchführen. „Jedes Mal, wenn wir ein größeres Sicherheitsproblem fanden, das über die normalen Probleme hinausging, wurden wir von Tests abgehalten. Und zum Zeitpunkt des 11. September 2001 war die einzige Art von Tests, die wir durchführten, Sprengstoffdetektionssysteme im Inland. Wir führten auch einige internationale Tests durch, aber nicht sehr viele.

Und am Tag des 11. September habe ich in der Einsatzzentrale der FAA gearbeitet, und ich vergesse, wer es angesprochen hat, aber jemand hat das Thema einer Waffe auf einem der Flüge angesprochen. Was an diesem Tag geschah war, dass wir von einer glaubwürdigen Quelle in der Einsatzzentrale die Information erhielten, dass auf einem der Flüge tatsächlich eine Pistole benutzt wurde. Gegen vier Uhr nachmittags bat Frau Garvey um eine Zusammenfassung für alles, was wir bis zu diesem Zeitpunkt wussten. Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Dokument von nur einer Seite, bloß eine Zusammenfassung. Und wir berichteten über die Waffe auf American Airlines-Flug 11. Es gab auch ein Problem mit einem möglichen Sprengstoff in einem anderen Flugzeug. Als dies geschah, habe ich seinerzeit nicht weiter darüber nachgedacht, denn damals dachte ich mir: Wenn sie ein Flugzeug entführen wollen, warum bringen sie dann nicht eine Waffe mit? Und ich wusste aus der Arbeit im Red Team, dass das ziemlich einfach zu bewerkstelligen war. Also habe ich nicht weiter darüber nachgedacht. Es vergingen zwei oder drei Monate, bis die Presse auf dieses Thema aufmerksam wurde, und die FAA antwortete sofort, dass es ein solches Dokument nicht geben würde. Dann wurden sie anscheinend mit dem tatsächlichen Dokument konfrontiert, und die Antwort der FAA, und das stand in der Presse, lautete, dass wir zwar zugeben, dass es ein Dokument gibt, aber dass es einen Fehler enthält. In der Tat erklärten sie, dass es sich bei dem, was die Person schreiben wollte, nicht um eine Pistole, sondern um ein Messer handelte, und statt einer Schusswunde war es eine Stichwunde. Diese Art von Aktivität, bei der sie einfach leugneten, ging die ganze Zeit vor sich, und meiner Meinung nach versuchten sie zu vertuschen, was tatsächlich vor sich ging.“

Fred Fielding von der 9/11-Kommission hakte bei Dzakovic bezüglich dessen Aussage nach, dass es am 11. September Informationen von einer „glaubwürdigen Quelle“ gab, denen zufolge an Bord eines der Flugzeuge eine Schusswaffe verwendet worden sei. Fielding: „Können Sie uns diese glaubwürdige Quelle nennen?“

Dzakovic: „Ich weiß nicht, wer genau es war. Aber in der Einsatzzentrale konnte uns nicht einfach irgendjemand anrufen und sagen, wissen Sie, wir glauben, dass es so passiert ist. Jede Information, die uns erreichte, musste entweder von den Fluggesellschaften oder einem FAA-Büro oder dem FBI oder einer anderen Regierungsbehörde kommen. Es war nicht etwas, auf das jeder einfach zugreifen konnte. Ich persönlich weiß also nicht, woher das kam, aber alle Informationen, die wir hatten, stammten aus einer glaubwürdigen Quelle.“

Fielding: „Nun, helfen Sie mir ein wenig. Sie sind in einem Raum und hören, dass jemand anderes diese Informationen erhalten hat?“

Dzakovic: „Was wir hatten, waren (…) vier Wände. Und an jeder Wand hatten wir große Papierblöcke, auf die wir immer dann, wenn etwas Wichtiges hereinkam, diese Information (…) schrieben. Als wir dann die Zusammenfassung zusammenstellten, ohne die Dinge politisch zu betrachten oder ein anderes Filterverfahren anzuwenden, schrieben wir einfach die Fakten auf, die wir hatten. Und einer davon war, dass sich auf diesem oder jenem Flug eine Waffe befand, und die Person identifizierte auch den Sitz, auf dem der Passagier die Waffe in der Hand hielt, und dann wurde offenbar eine Person, die vor diesem Sitz saß, erschossen. Und das haben wir einfach gemeldet.“

Fielding: „Erinnern Sie sich, wer es auf das Blockpapier geschrieben hat?“

Dzakovic sagte, er erinnere sich daran, wer es in die Zusammenfassung geschrieben habe, aber er wisse nicht, wer die Information erhielt und sie auf das Blockpapier schrieb.

Fielding: „Wie viele Personen waren im Raum?“

Dzakovic: „Zwischen 15 und 20, würde ich denken.“

Fielding wollte von Dzakovic ferner erfahren, was seiner Einschätzung nach bezüglich der Gruppe der Flugzeugentführer „die direkte und unmittelbare Ursache der 9/11-Tragödien“ gewesen sei. Der ehemalige Anführer des Red Team entgegnete ihm: „Das einzig Bemerkenswerte an dem, was am 11. September geschah, ist, wie wenig bemerkenswert ihre Taktiken waren. Und wir haben im Red Team bewiesen, dass die beste Art und Weise, eine Operation durchzuführen, darin besteht, sie so einfach wie möglich zu halten. Sie brauchten nicht einmal Teppichmesser. Ich meine, sie hätten einfach als regulärer Passagier in das Flugzeug steigen und es ohne irgendeine Art von Waffe übernehmen können, denn in einem Flugzeug gibt es jede Menge Waffen, die man sowieso benutzen kann. Und anscheinend hatten einige von ihnen auch eine Kampfsportausbildung. Aber wie ich in meiner Whistleblower-Beschwerde dargelegt habe, war das, was am 11. September geschah, kein Versagen des Systems; es war ein System, das zum Scheitern bestimmt war. Jeder einzelne Aspekt davon hat nicht dazu beigetragen, Terroristen abzuschrecken oder zu finden.“

Als er das Wort übernahm, sagte der Co-Vorsitzende der 9/11-Kommission Thomas Kean: „Ich entnehme Ihrer Aussage, dass es vor dem 11. September nicht sicher war, zu fliegen.“

Dzakovic: „Ja.“

Der andere Co-Vorsitzende Lee Hamilton fragte später: „Glauben Sie, dass das heutige System unsicher ist?“

Antwort Dzakovic: „Es gibt jetzt eine größere Abschreckung als vor dem 11. September.“

Hamilton wiederholte die Frage: „Sie glauben, dass das System heute unsicher ist?“, und nun antwortete Dzakovic: „Ja.“

Auf entsprechende Nachfragen von Kommissionsmitglied Jamie Gorelick erklärte Dzakovic, man müsse nicht allerlei Vorstellung anwenden, um herauszufinden, wie das Sicherheitssystem geschlagen werden könne. „Im Grunde gibt es zwei Bedrohungen gegen die Luftfahrt, und das ist eine Entführung oder ein Bombenanschlag, und alles, was Sie tun müssen, ist, sich auf diese beiden Fragen zu konzentrieren: Wie kann man eine Entführung minimieren und wie kann man einen Bombenanschlag minimieren. (…) [V]om Sicherheitsstandpunkt aus gesehen gibt es wirklich keinen Unterschied zwischen der Verteidigung gegen einen Flugzeugentführer, der eine Sache wie den 11. September unternehmen will, und einem Flugzeugentführer, der nach Miami gehen will. Das Schlüsselwort ist, dass Sie sich gegen eine Entführung verteidigen und sich später um seine Motive kümmern. (…) [I]ch sage aus rein sicherheitspolitischer Sicht, ob eine Person ein Flugzeug entführt, (…) irgendein Verrückter, der nach Miami oder Las Vegas fliegen will, es gibt keinen Unterschied zwischen der Gewährleistung von Sicherheit vor dieser Person und der Gewährleistung von Sicherheit vor professionellen Terroristen, die ein Flugzeug in ein Gebäude stürzen wollen. Das Schlüsselwort ist, dass die grundlegenden Verfahren die gleichen sind. Sie können verschärfte Verfahren haben, aber die grundlegenden Verfahren, was die Abschreckung von Entführungen dieser Art betrifft, sind die gleichen. Es gibt nur zwei Bedrohungen: Entführungen oder Bombenanschläge.“

Ganz zuletzt wurde Dzakovic von Kommissionsmitglied John Lehman die Frage gestellt, worauf er „die Vertuschung oder das absichtliche Ignorieren der Ergebnisse der Red Teams“ zurückführen würde. Lehman bekam als Antwort zu hören: „Ich glaube, es ist eine Kombination aus mehreren Faktoren. Einer davon ist der Druck seitens der Luftfahrtindustrie. Der andere ist die eklatante Inkompetenz vieler Manager. Aber denken Sie auch daran, was ein Red Team tut. Im Grunde ist alles, was wir tun, Schmutz oder negative Informationen auszugraben, und man kommt karrieremäßig in der Bundesregierung nicht weiter, wenn man ständig Schmutz aufwirft. Ihre Reaktion war also, dass sie versuchten, dies so weit wie möglich kleinzuhalten.“ (3)

Nachweislich bemühten sich die „Red Team“-Anführer Bogdan Dzakovic und Steve Elson über mehrere Jahre hinweg, die FAA dazu zu bewegen, die Anfälligkeiten des Sicherheitssystems zu beheben. Beide vertraten die Auffassung, dass das FAA-Sicherheitsprogramm „eine Farce, eine Fassade“ war, welches zu Gefahren führen müsse. Doch das FAA-Management „unternahm praktisch nichts, um diese Schwachstellen zu korrigieren“, wie Elson später schriftlich Revue passieren ließ. „Die FAA machte sich nichts daraus.“ Gleiches galt für das Transportministerium – „es machte sich nicht mehr daraus als die FAA.“ Der mehrfache Versuch, verschiedene Mitglieder des US-Kongresses zum Handeln zu veranlassen, scheiterte ebenso. Unter dem Strich ist Elson überzeugt: Wenn die FAA, das Transportministerium und die Regierung der USA zugehört hätten, als es darum ging, terroristische Luft-Angriffe zu vereiteln, „[wäre] 9/11 nicht eingetreten!“ (4)

In den Momenten, während derer sich die Ereignisse vom 11. September schließlich zutrugen, reagierte Bogdan Dzakovic im FAA-Einsatzzentrum mit dem Gefühl wütender Verachtung. „Aber mein Zorn richtete sich nicht gegen die Terroristen, sondern gegen die Politiker und Bürokraten, welche die Anschläge hätten verhindern können. Der Kampf gegen den Terrorismus war einfach im Vergleich zum Kampf gegen Bürokratie und Politik.“ Er erklärt, dass die US-Verfassung, die bei seinem Amtseid eine Rolle spielte, „[i]n ihrer einfachsten Form (…) darauf ausgerichtet“ sei, „das törichte Verhalten unserer Bundesregierung geringzuhalten. Meistens mag dieses Verhalten nur zu einer groben Verschwendung von Steuergeldern führen, aber manchmal bricht das System unter seinem eigenen Gewicht zusammen und unschuldige Menschen sterben. Und so hatten wir die vermeidbaren Terroranschläge vom 11. September 2001. Das Problem beginnt auf dem Capitol Hill und wird durch die Bürokraten, die die Behörden leiten, noch verschlimmert. Das 21. Jahrhundert hätte auf einer besseren Grundlage beginnen sollen, und das hätte es auch, wenn die Politiker und Bürokraten auf die Warnungen reagiert hätten, die wir ihnen vor 9/11 gegeben haben.“ Mit dem „Wir“ meint Dzakovic „in erster Linie einige Angehörige des FAA Red Team, der einzigen Organisationseinheit in der gesamten Bundesregierung, die aktiv versuchte, die Anschläge vom 11. September zu verhindern.“ (5)

Wenn man den Abschlussbericht der 9/11-Kommission zur Hand nimmt, um zu schauen, was darin über das Red Team der FAA und dessen Befunde geschrieben steht, wird man das ohne Erfolg tun: sie werden nicht erwähnt. „Die 9/11-Kommission hat in Bezug auf die Flugsicherheit sicherlich eine Schönfärberei des 11. Septembers vorgenommen“, sagte mir Dzakovic, als ich ihn danach befragte. (6)

QUELLEN:

(1) Bogdan J. Dzakovic: Fortress of Deceit – The Story of a 9/11 Whistleblower, Down & Out Press, 2016, S. 176.

(2) Rodney Faraon, ein früherer CIA-Analyst: “The best red teamers are like ‘method actors‘ in that they identify and internalize the motives and values of an adversary so they can become the adversary.” Vgl. Micah Zenko: Red Team – How to Succeed by Thinking Like the Enemy, Basic Books, 2015, S. 12.

(3) Vgl. Transkript 9/11-Kommissionsanhörung vom 22. Mai 2003, online unter: https://govinfo.library.unt.edu/911/archive/hearing2/9-11Commission_Hearing_2003-05-22.htm#panel_four

(4) Vgl. Vorwort in Bogdan J. Dzakovic: Fortress of Deceit, a.a.O., Seiten 8, 10, 11.

(5) Vgl ebd., Seiten 16-17.

(6) Persönliche Auskunft an den Autor im August 2020. Brian Sullivan, ehemals FAA-Special Agent, sagte dazu: „Die Luftfahrtsicherheit wurde im Bericht der 9/11-Kommission kurz abgefertigt, und, ob beabsichtigt oder nicht, der Nettoeffekt bestand darin, die Flughäfen und Fluggesellschaften vor Haftungsfragen in Schutz zu nehmen.“ Vgl. Gary Stoller: How 9/11 could have been prevented, and why the airline safety system still isn’t fixed, American Media Institute, 13. September 2016; https://gazette.com/news/how-9-11-could-have-been-prevented-and-why-the-airline-safety-system-still-isn/article_e4c4470f-22e5-554f-9187-2bbbe31f86b3.html. Von Interesse hierbei: Gleich sieben Mitglieder der 9/11-Kommission (Fred Fielding, Slade Gorton, James Thompson, Richard Ben-Veniste, Max Cleland, Jamie Gorelick und Tim Roemer) unterhielten enge Verbindungen zur Luftfahrtindustrie. Vgl. bspw. Jamie Holguin: Conflicts of Interest On Sept. 11 Panel?, CBS News, 5. März 2003; https://web.archive.org/web/20170429150143/http://www.cbsnews.com/news/conflicts-of-interest-on-sept-11-panel/

Bogdan Dzakovic geht übrigens bis heute davon aus, dass Flugsicherheitsstandards auf Red Team-Einschätzungen basieren sollten. Seiner Ansicht nach existieren „nur zwei Möglichkeiten, um festzustellen, ob ein bestimmtes Sicherheitssystem funktioniert. Die erste ist der Erfolg oder Misserfolg eines tatsächlichen Angriffs, und die zweite sind die Einschätzungen eines Red Team. Es ist wichtig, die Operationen des Red Team in die Sicherheitsinfrastruktur dieses Landes zu integrieren. Es funktioniert, wenn es richtig geleitet und ausgeführt wird.“ Darüber hinaus rät Dzakovic, die Red Team-Taktik gegen die Terrororganisationen selbst anzuwenden, das heißt durch den Einsatz von „asymetrischen Methoden“, um auf diesem Wege „ihre eigenen Organisationsstrukturen zu untergraben.“ (A)  Red Team-Taktiken könnten ihm zufolge auch für Strafverfolgungsbehörden von operativem Nutzen sein. „Statt nur Spitzel, High-Tech-Überwachung und pures Glück zu gebrauchen, um vorauszusehen, wie die nächste Ladung gefährlicher Drogen die Grenze überqueren wird, sollte man ein Red Team einsetzen, um die Taktik zu replizieren und vorherzusagen, bevor es geschieht.  Wenn man wissen will, wie die bösen Jungs eine große öffentliche Versammlung angreifen könnten/würden – man setze ein Red Team ein, bevor es passiert.“ Letztlich seien die „Einsatzmöglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden nur durch die Vorstellungskraft begrenzt.“ (B) Die Form eines gegnerischen Red Team, das die Schwachstellen eines bestimmten Ziels testen soll, vermag „auf jede Art von Sicherheitssystem“ angewandt zu werden, egal ob bei „Banken, Computersystemen, Hochrisiko-Personal, Kraftwerken, Wasseraufbereitungsanlagen, Ozeandampfern, Verkehrsflugzeugen, Militärstützpunkten, den verschiedenen Elementen innerhalb des Heimatschutzministeriums und allen kommerziellen und privaten Einrichtungen, die etwas Wertvolles zu schützen haben, das ein potenzieller Bösewicht zerstören oder an sich reißen wollen würde.  (…) Ein Red Team ist ein entscheidendes Instrument, um einzuschätzen, wie effektiv die eigene Sicherheit bei der Vereitelung eines Angriffs in der realen Welt ist. Wenn es richtig ausgeführt wird, vermag ein Red Team die genaue Art eines bevorstehenden Angriffs durch einen raffinierten Gegner, der sich möglicherweise bereits in der Planungsphase befindet, vorherzusagen; mit der Absicht, dass die Manager die entsprechenden Korrekturmaßnahmen ergreifen können, um genau einen solchen Angriff zu vereiteln. Ich betrachte dies als eine Art Schachspiel. Je mehr Züge Sie vor Ihrem Gegner genau durchdenken können, desto besser stehen Ihre Chancen, die Partie zu gewinnen. Ein Red Team kann Ihnen diesen Vorteil verschaffen.“ (C) Die Organisation, welche mit der Red-Team-Methodik überprüft wird, um Fehlerquellen ausfindig zu machen, vermag „jede beliebige Gruppierung von Menschen“ zu sein, ihre tatsächliche Verwendung „ist jedoch unüblich“ – nicht zuletzt deshalb, weil die Organisationsführung durch die Red-Team-Ergebnisse in ein schlechtes Licht gerückt werden könnte. (D) Zur effektiven Aufdeckung von Mängeln benötigen Red Teams die Unterstützung der obersten Führungsebene der zu untersuchenden Organisation. „Führungspersönlichkeiten, die ein Interesse daran haben, Probleme und Lösungen schnell aufzudecken, sollten diese Technik in Betracht ziehen. Sie sollten sich jedoch bewusst sein, dass das Personal, das in Bereichen arbeitet, in denen es Problemen gibt, oftmals unzufrieden sein wird. Deshalb ist die Unterstützung durch die Führungsspitze notwendig.“ Zugleich kann eine Organisationsleitung durch den Einsatz der Red-Team-Methodik gestärkt hervorgehen, wenn es den Mitgliedern des Red Team erlaubt ist, „außerhalb der Norm denken“ zu dürfen. (E) Sie brauchen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit“, um ihre Rolle erfüllen zu können, und [i]hnen sollten keine Grenzen gesetzt sein, abgesehen von ethischen und rechtlichen Zwängen.“ (F) Ihrer Aufgabe vermögen sie am besten nachzugehen, wenn sie befähigt werden, „semi-unabhängig von der Zielinstitution zu existieren“, (G) wobei die Arbeit in einem Red Team einen bestimmten Persönlichkeitstypus erfordert: „aufgeschlossen, kreativ, selbstbewusst und ein wenig sonderbar.“ (H) Ihre Methoden müssen aus Vielfalt bestehen und dürfen nicht vorhersehbar sein – was voraussetzt, dass die Mitglieder eines Red Teams in der Lage sind, auf eigenen Füßen zu stehen und immer neue Taktiken und Techniken im Ärmel zu haben. (I) Organisationen, die außerstande sind, die Ergebnisse eines Red Teams zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu reagieren, sollten sich gar nicht erst die Mühe machen, ein Red Team einzusetzen. (J)

(A) Bogdan Dzakovic: Fortress of Deceit, Seiten 337-38. (B) Bogdan Dzakovic: The Red Team Enigma, Or The Deep State vs. the Dumb State, unveröffentlichtes Manuskript. (C) Ebd. Micah Zenko definiert den Einsatz von Red Teams als „strukturierter Prozess, der versucht, die Interessen, Absichten und Fähigkeiten einer Institution – oder eines potenziellen Konkurrenten – durch Simulationen, Schwachstellenuntersuchungen und Alternativanalysen besser zu verstehen. (…) Durch den Einsatz eines Red Teams können Institutionen eine frische und alternative Perspektive auf ihre Arbeitsweise erhalten. Es kann ihnen helfen, unausgesprochene Annahmen aufzudecken und zu testen, blinde Flecken zu identifizieren und ihre Leistungen potenziell zu verbessern“. Zenko: Red Team, S. xi-xii. (D) Douglas R. Satterfield: Leadership Toolbox – the Red Team, The Leader Maker, 7. Mai 2020; https://www.theleadermaker.com/leadership-toolbox-the-red-team/. (E) Douglas R. Satterfield: Use of “Red Teams“ to Improve Leadership, The Leader Maker, 21. Januar 2014; https://www.theleadermaker.com/use-of-red-teams-to-improve-leadership/. (F) Douglas R. Satterfield: Leadership Toolbox. (G) Micah Zenko: Red Team, S. 12. (H) Ebd., S. 235. Bogdan Dzakovic sagte mir zu diesem Punkt: “I like the comment about Red Team members being ‘a little odd‘. By being ‘odd‘, that indicates that the person is different. But I would take it a step further: From my experience, the best Red Team members were exceptional, in a class by themselves. Of course, I’m a little biased. This is based purely on my interaction with and observation of Steve Elson (my Red Team colleague in this endeavor); but together the two of us became a force-multiplier. And world history would certainly have started off significantly more benignely this century were we allowed to achieve our objectives. The vast majority of people we worked with couldn’t see or imagine any thing outside the little bubble they lived in. (I) Ebd. (J) Ebd.

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