„Im Streben nach wirtschaftlichem Wachstum erscheint die moderne menschliche Kultur als ein selbstorganisierter, geistloser, nach Energie strebender Superorganismus, der ähnlich wie eine hirnlose Amöbe mit einfachen Tropismen funktioniert.“
Von Lars Schall
Das Wort „besinnungslos“ im Gebrauch von Nietzsche kam mir in den Sinn, und das ergab sich so:
In der lesenswerten Studie „Economics for the future – Beyond the superorganism„, gelangt N.J. Hagens zur Auffassung, die globale menschliche Gesellschaft funktioniere wie ein energiehungriger Superorganismus. „Im Streben nach wirtschaftlichem Wachstum erscheint die moderne menschliche Kultur als ein selbstorganisierter, geistloser, nach Energie strebender Superorganismus, der ähnlich wie eine hirnlose Amöbe mit einfachen Tropismen funktioniert.“ Hagens meint: „Im Prinzip könnte ein Superorganismus superintelligent sein, aber unserer ist es nicht.“
Die Richtung, welche die menschliche Gesellschaft nimmt, werde gegenwärtig von niemandem gesteuert – weder durch „Milliardäre, noch Politiker, noch eine geheime Kabale. Wir sind alle im globalen Wachstumsimperativ gefangen, der gegen Selbstkritik immun ist. So wie Ameisen individuelle Aufgaben für das Wachstum der Kolonie erledigen, haben wir Menschen unsere Individualität in die ,Cloud‘ ausgelagert, die selbst kein echtes Gehirn besitzt. Je mehr Menschen an einer Entscheidung/einem Prozess beteiligt sind, desto mehr ähneln unsere Entscheidungen einfachen bakteriellen Tropismen, die unbewusst auf Energiegewinnung ausgerichtet sind. Auf den größten Ebenen bewegt sich die Weltwirtschaft ähnlich wie ein Starenschwarm, der einfachen emergenten Regeln folgt. Im Jahr 2019 n. Chr. ist das Ergebnis des täglichen Lebens von mehr als 7,7 Milliarden Hominiden ein energiehungriger Superorganismus, der außer Kontrolle geraten ist und immer noch Hunger hat. Dieser Superorganismus ist nicht menschlich. Er ist ein Ding-an-sich mit seinen eigenen Überlebensinstinkten, die sich über die einzelnen Menschen, aus denen er besteht, hinwegsetzen.“
Der Energie-Hunger, den der (besinnungslose) Superorganismus besitzt, ist nicht zuletzt in dem angelegt, wonach der Mensch tagtäglich strebt: im Geld. Denn Geld wird aus Schulden geschöpft, (2) und im Grunde ist Geld ein „Energie-Anspruch“ (a claim on energy), da „jede einzelne Ware und jede Dienstleistung, aus denen das BIP hervorgeht, eine gewisse Energieumwandlung erfordert“ – woraus sodann folgt, dass „Schulden ein Anspruch auf zukünftige Energie“ sind.
(1) Zit. wie http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Aus+dem+Nachla%C3%9F+der+Achtzigerjahre/%5B15%5D
(2) Hagens in seiner Arbeit (Abschnitt „4.10. Energy and money“): „Geld (ist) der einzige Teil unserer Wirtschaft, der nicht den Gesetzen der Thermodynamik unterliegt, denn es wird als Schuld geschaffen, die den mathematischen Gesetzen des Zinseszinses unterliegt (Soddy, 1933). Geschäftsbanken sind keine Vermittler, die vorhandenes Kapital verleihen (Jakab und Kumhof, 2015), sondern sie schaffen Geld, indem sie es ausleihen (McLeay und Radia, 2014). Im Gegensatz zu dem, was in Wirtschaftslehrbüchern gelehrt wird, wird Geld nicht aus bestehendem Vermögen ausgeliehen – es wird geschaffen (Werner, 2014; Ament, 2019). Dieses neue Geld wird schließlich für eine Ware oder Dienstleistung ausgegeben, die verkörperte Energie enthält. Geld ist ein Anspruch auf Energie, doch seine Schaffung ist nicht an die Verfügbarkeit oder die Kosten von Energie gekoppelt.“ Siehe in diesem Zusammenhang auch: Schuldendynamiken à la Frederick Soddy.