In der Geschichtsschreibung wird gern so getan, als habe die deutsche Kapitalelite nichts mit dem Aufstieg der NSDAP zu tun gehabt. Tatsächlich aber wurde die Hitler-Partei bereits ab 1927/28 von Vertretern der Großindustrie finanziert.
Von Lars Schall
„Große Teile der Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns.“
Goebbels-Tagebucheintrag vom 22. November 1930.
In der Geschichtsschreibung wird gern so getan, als habe die deutsche Kapitalelite nichts mit dem Aufstieg der NSDAP zu tun gehabt (siehe bspw. hier).
Tatsächlich aber wurde die Hitler-Partei bereits ab 1927/28 von Vertretern der Großindustrie finanziert, zunächst insbesondere von den „Kohlebaronen“ im Ruhrgebiet (d.h. den Repräsentanten des sogenannten „Kohleflügels“ der dt. Schwerindustrie).
Als die Nationalsozialisten im September 1930 bei den Reichstagswahlen von bisher 2,6% auf 18% in der Wählergunst emporschnellten, schrieb der US-Botschaftsattaché in Berlin, George A. Gordon, an seine Regierung in Washington:
„Wie ich in meinem Bericht No. 489 darstellte, gibt es keinen Zweifel, dass Hitler von bestimmten großen Industriellen wesentliche finanzielle Unterstützung erhielt.“ (1)
Das ist eine wichtige Beobachtung, weil die NSDAP die Kosten für einen landesweiten Propagandafeldzug nicht aus Mitgliederbeiträgen selbst decken konnte, wie aus dem Werk „Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926-1943“ von Karsten Heinz Schönbach hervorgeht.
Vertreter der dt. Großindustrie, welche Hitler und seine NSDAP bereits damals unterstützten, waren laut Schönbach u.a.:
Albert Vögler, Fritz Springorum, Fritz Thyssen, Ernst von Borsig, Walter Borbet, Emil Kirdorf, Kurt Sorge, Hans von und zu Loewenstein, Paul Reusch, Ernst Brandi, Fritz Winkhaus, Albert Hoppstätter, Edmund Stinnes, Herbert Kauert und Ernst Tengelmann.
In einem Brief an Winston Churchill vom 28. August 1937 schrieb Heinrich Brüning, der Dt. Reichskanzler von März 1930 bis Juni 1932:
„Hitlers wirklicher Aufstieg begann erst 1929, als die deutschen Großindustriellen und andere es ablehnten, weiterhin Gelder an eine Menge patriotischer Organisationen auszuschütten, die bis dahin die ganze Arbeit für das deutsche ‚Risorgimento’ geleistet hatten. Ihrer Ansicht nach waren diese Organisationen in ihren sozialen Gedanken zu fortschrittlich. Sie waren froh, dass Hitler die Arbeiter radikal entrechten wollte. Die Geldspenden, die sie anderen Organisationen vorenthielten, flossen Hitlers Organisation zu. Das ist natürlich allerorts der übliche Beginn des Faschismus.“ (2)
Vor 1933 gewann Hitler weitere Unterstützer aus Großindustrie und Bankwesen, zu denen (u.a. vertreten in Vereinigungen wie „Nationalklub 1919“, „Ruhrlade“ und „Mecklenburger Herrengesellschaft“) bspw. zählten:
August Rosterg, August Diehn, Wilhelm Cuno, Rudolf Blohm, Emil Georg von Stauß, Hjalmar Schacht, Kurt Schmitt, Wilhelm Keppler, Albert Pietsch, Otto Steinbrink, Ewald Ecker, Friedrich Reinhard, Friedrich Flick, Kurt Freiherr von Schröder und Hans Reupke.
Die Spenden aus dem Lager von Großindustrie und Banken waren bitter nötig, wenn man folgende Rechnung zum Budget der NSDAP im Jahr 1932 betrachtet (3):
– Durchschnittsbetrag für Finanzierung eines deutschlandweiten Wahlkampfs der NSDAP 1932:
1 Millionen Mark (600.000 Mark einzelne lokale Parteiorganisationen / 400.000 Mark Parteileitung);
– benötigter Monatsbetrag 1932, um Unterhalt der NSDAP zu finanzieren:
3,5 Millionen Mark;
– Budget, das der NSDAP von Januar bis September 1932 zur Verfügung stand:
34 Millionen Mark — „…und das ist … eine ,Minimalrechnung‘, die sich an die Untergrenze des tatsächliche Budgets der Nazi-Partei nur annähert.“
– Mitgliedsbeiträge der NSDAP im Jahr 1932:
höchstens 4,8 Millionen Mark.
Wie Schönbach aufzeigt, vermochte sich die NSDAP vor 1933 weder durch Mitgliedsbeiträge noch durch Einnahmen der NS-Presse, weder durch Eintrittsgelder für NS-Veranstaltungen noch durch Zuwendungen des wirtschaftlichen Mittelstandes „auch nur annähernd“ zu finanzieren. (4) Die Millionen, welche ihr zur Verfügung standen, kamen woanders her…
Der Sinn des Hitlergrußes:
Kleiner Mann bittet um große Gaben
Motto: Millionen stehen hinter mir!
https://heartfield.adk.de/
Bedenkenswert an dem Kunstwerk „Der Sinn des Hitlergrußes“ von John Heartfield: jener stand (wie auch sein Bruder Wieland) in Kontakt mit Harry Graf Kessler – und in einem Tagebuch-Eintrag von Anfang Dezember 1931 schreibt Graf Kessler von einer Unterredung mit dem Bankier Eduard von der Heydt, welcher bei der Gelegenheit gesagt haben soll: „Die Nazis seien gar nicht so schlimm, wie sie nach ihren Programmen und Erklärungen scheinen; schon weil sie soviel Geld von der Großindustrie und Großbank erhielten…“ (5)
Was ausländische Geldgeber für die NSDAP angeht, so lässt sich sagen, dass die Berliner Firmen AEG, Telefunken Gesellschaft und Osram im Frühjahr 1933, als Hitler die Macht übertragen worden war, Gelder an den Wahlkampffonds der neuen NSDAP-Regierung spendeten, und zwar durch Zahlungen auf das Konto „Nationale Treuhand, Dr. Hjalmar Schacht“ beim Bankhaus Delbrück Schickler & Co.: AEG gab 60.000 Reichsmark, Telefunken Gesellschaft zahlte 35.000 Reichsmark, Osram überwies 40.000 Reichsmark. (6) Seit 1929/30 wurde AEG per Stammaktienbesitz durch das US-Unternehmen General Electric kontrolliert, und vier Aufsichtsräte von AEG kamen von General Electric, darunter der GE-Vorstandsvorsitzende Owen D. Young. Telefunken war ein Tochterunternehmen von AEG. Seit 1931/32 war General Electric ferner substanziell am Aktienkapital von Osram beteiligt. Zumindest indirekt mag somit von einer Unterstützung durch General Electric im Frühjahr 1933 gesprochen werden.
An der Gründung der AEG-Tochterunternehmung Telefunken Gesellschaft war neben AEG auch einst der Siemens-Konzern beteiligt gewesen – an welchem General Electric gen Ende der Weimarer Republik ebenfalls Anteile hielt, nachdem das Bankhaus Dillon, Read & Co. eine Anleihe in Höhe von 14 Millionen US-Dollar „an der New Yorker Börse mit einer Laufzeit von eintausend (in Worten: eintausend) Jahren auflegte, die eine Verzinsung in Höhe der jeweiligen Dividende, mindestens aber von sechs Prozent per anno vorsah. Größter Abnehmer dieser Anleihe war interessanter Weise die General Electric Company.“ (7) Das ist auch deswegen interessant, weil Carl-Friedrich von Siemens „am 27. Oktober 1931 in New York, anlässlich eines ihm zu Ehren gegebenen Essens“, gegenüber seinen Gastgebern von General Electric für die Hitler-Leute warb: „Er hob hervor, dass die Nazis ihr ,Ziel durch gesetzliche Maßnahmen, d.h. durch den Stimmzettel verwirklichen‘ wollten. Er bescheinigte ihnen ferner ,Selbstlosigkeit‘, und dass bei ihnen ,hohe nationale Ideale‘ anzutreffen seien. Die ,Wurzel der Hitlerschen Bewegung‘, so fuhr von Siemens fort, ,ist der Kampf gegen den Sozialismus, d.h. gegen den Marxismus‘. Am Ende seiner Ausführungen formulierte er dann in dankenswerter Offenheit: ,Eines möchte ich noch betonen: wenn die große Mehrzahl nicht nur der deutschen Geschäftsleute, sondern auch der Angehörigen aller gebildeten Klassen, viele von Hitlers Methoden verurteilen, so betrachten sie doch das Hitlertum als das kleinere Übel gegenüber dem Kommunismus.‘“ (8)
Quellen:
(1) Zit. wie Karsten Heinz Schönbach: Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926-1943, Trafo, 2019, S. 146. Siehe ferner hier: https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1930v03/d52. Extract Report 489: “Finally, it must not be forgotten that it is pretty generally understood that this party had the secret support of at least a portion of heavy industry, which regarded it as a means of opposing the Social Democrats and Communists.”
(2) Zit. wie ebd., S. 176.
(3) Vgl. ebd. S. 185, 190-192.
(4) Ebd., S. 207.
(5) Zit. wie ebd., S. 230.
(6) Vgl. Nürnberger Dokument NI-391; https://phdn.org/archives/www.mazal.org/archive/nmt/07/NMT07-T0567.htm.
(7) Dr. Reiner Zilkenat: Das deutsche Großkapital, der „Keppler – Kreis“ und die NSDAP: Eine unentbehrliche Vorgeschichte des 30. Januar 1933. VVN-BdA, Oktober 2012; https://dasjahr1933.de/das-deutsche-groskapital-der-keppler-kreis-und-die-nsdap/. Bzgl. der Siemens-Anleihen, die im großen Stil von General Electric aufgekauft worden waren: Siemens besaß seinerzeit steigenden Kapitalbedarf, „aber festverzinsliche Anleihen konnten auf dem amerikanischen Kapitalmarkt kaum platziert werden. So wurde eine neue Art von Schuldverschreibungen (Gewinnschuldverschreibungen) erfunden. Sie garantierten einen festen Zinssatz und eine zusätzliche Verzinsung nach der Dividende. Während die deutschen Verträge mit der Deutschen Bank und der Disconto-Gesellschaft ausgehandelt wurden, übernahm die US-Bank Dillon Read die amerikanischen Anleihen, die hauptsächlich von General Electric gekauft wurden.“ Zit. wie Boris Gehlen / Christian Marx: Organizing Credit. Patterns of inter-industrial finance in the interwar period in Germany (1920-1940), in Michel Lescure / Michael Moss: Aspects of Corporate Finance: Inter-firm Lending; https://books.openedition.org/igpde/6012
(8) Zilkenat: Das deutsche Großkapital.