Winston Churchill besuchte am 24. Oktober 1929 die New Yorker Börse – womit er „ein bemerkenswertes Gespür für historische Ereignisse zu haben“ schien.
Von Lars Schall
Winston Churchill erlebte den Börsen-Crash in New York City am 24. Oktober 1929, auch „Schwarzer Donnerstag“ genannt, als Augenzeuge:
„Um zwölf Uhr dreißig schloss die Geschäftsleitung der New Yorker Börse die Besuchergalerie. Einer der Besucher, der mit den anderen nach draußen gespült wurde, schien ein bemerkenswertes Gespür für historische Ereignisse zu haben. Es war der frühere Kanzler des britischen Schatzamtes, Chancelor of the Exchequer, Winston Churchill. Er war es, der 1925 in England den Goldstandard wieder eingeführt und das Pfund aufgewertet hatte, was dann, theoretisch betrachtet, in New York den Boom auslöste. Nun konnte Churchill die Früchte seiner verhängnisvollen Arbeit betrachten.“ (1)
Nach der Rückkehr zum Goldstandard hatte Großbritannien die USA gedrängt, die Zinsen zu senken. Dieser Schritt, der die Aktienrallye in den USA anschob, „sollte der Bank of England entgegenkommen, die nach der katastrophalen Rückkehr zum Goldstandard zum Vorkriegskurs unter einem Abfluss von Gold litt“. (2)
Bzgl. der Rückkehr zum Goldstandard durch Churchill sticht ins Auge: Im Jahr 1931, als die „Große Depression“ um sich griff, hatte Churchill zum Wochenende Charlie Chaplin, den Schöpfer des Films The Gold Rush (1925), zu Gast „in Chartwell, seinem Landhaus in Kent – sie hatten sich in Hollywood kennengelernt, als Churchill im Oktober 1929, zur Zeit des Börsenkrachs, die Vereinigten Staaten besuchte. Beim Abendessen eröffnete Chaplin das Gespräch mit den Worten: ,Sie haben einen großen Fehler begangen, als Sie 1925 zum falschen Wechselkurs zum Goldstandard zurückkehrten.‘ Churchill war etwas verblüfft. Während der Filmstar mit großem Wissen über das Thema sprach, versank Churchill, der es hasste, an vergangene Fehler erinnert zu werden, in ein mürrisches Schweigen, das erst durchbrochen wurde, als der Komiker zwei Brötchen nahm, zwei Gabeln hineinsteckte und den berühmten Tanz aus dem Film aufführte.“ (3)
Quellen:
(1) Zit. wie John Kenneth Galbraith: Der große Crash 1929 – Ursachen, Verlauf, Folgen. FinanzBuch Verlag, 2005, S. 138. Für Hintergründe von Churchills USA-Reise 1929 siehe David Lough: How Churchill Made – And Lost – A Fortune in 1929. Newsweek, 24. Oktober 2015; https://www.newsweek.com/how-churchill-made-and-lost-fortune-1929-386818
(2) Zit. wie Edward Chancellor: Devil Take the Hindmost – A History of Financial Speculation. Plume, 2000, S. 198. Im Zusammenhang mit der Wechselkurskrise lesen wir: „Sie begann 1925, als Churchill Großbritannien zum Goldstandard zurückführte. Dadurch wurde Großbritannien für ausländische Investitionen weniger attraktiv. Die Vereinigten Staaten wurden attraktiver. 1927 drängten die Chefs der Zentralbanken Englands, Frankreichs und Deutschlands die USA, die Zinsen zu senken (Politik des leichten Geldes). Die Fed senkte die Zinsen von 4 % auf 3,5 %. Die Preise für Staatsanleihen stiegen, Anleihen wurden verkauft, und die Erlöse wurden zum Kauf von Aktien verwendet oder als Kredite für den Kauf von Aktien genutzt. ,Die größte und kühnste Operation, die das Federal Reserve System je unternommen hat, und … [sie] führte zu einem der kostspieligsten Fehler, den es oder irgendein anderes Bankensystem in den letzten 75 Jahren begangen hat!‘ – Adolf C. Miller, abweichendes Mitglied des Federal Reserve Board. ,Von diesem Zeitpunkt an geriet die Situation allen Anzeichen nach völlig außer Kontrolle.‘ – Prof. Lionel Robbins, London School of Economics. Dieses Ereignis wird oft als Grund für die darauf folgenden spekulativen Exzesse angeführt. Galbraith weist darauf hin, dass frühere Perioden mit billigen, leicht verfügbaren Krediten zu vernachlässigbarer Spekulation geführt haben.“ Zit. wie The Great Crash 1929 by John Kenneth Galbraith. Novel Investor; https://novelinvestor.com/notes/the-great-crash-1929-by-john-kenneth-galbraith/
(3) Zit. wie Liaquat Ahamed: Lords of Finance – The Bankers Who Broke the World. Penguin, 2009, S. 432.