Am 11. September 1941 wurde der sogenannte „Schießbefehl“ bekanntgegeben – von nun an sollte seitens der USA im Atlantik das Feuer auf deutsche Schiffe eröffnet werden. Es folgt ein Beispiel für das Verbreiten von „Fake-News“.
Von Lars Schall
- Ausgangslage
Frühjahr 1941: Die USA befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Krieg mit Deutschland, doch das sollte sich nach Ansicht von Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt möglichst rasch ändern. So sagte Churchill gegenüber Admiral Dudley Pound am 17. Februar 1941: „Das Wichtigste ist, die Vereinigten Staaten in den Krieg zu bringen.“ Und Roosevelt „erklärte kategorisch“ Ende März 1941 gegenüber Vincent Astor, einem Mitglied einer nachrichtendienstlichen Geheimgesellschaft namens „The Room“, er werde „handeln, um die USA sehr bald hineinzubringen“.
Beide Zitate sind dem Buch Agents of Influence des kanadischen Autors Henry Hemming entnommen. Dazu gleich mehr. Denn was Hemming nicht schreibt: Schon im Januar 1941 hatte Roosevelt seinen Berater Harry Hopkins nach London gesandt, um Churchill die Botschaft zu übermitteln:
„Der Präsident ist entschlossen, dass wir den Krieg gemeinsam gewinnen werden. Da können Sie sicher sein. Er hat mich hierhergeschickt, um Ihnen zu sagen, dass er Sie um jeden Preis und mit allen Mitteln durchbringen wird, egal was ihm geschieht – es gibt nichts, was er nicht tun wird, solange er menschliche Kraft hat.“ (Zit. wie The Third Volume of Winston Churchill’s War Memoirs – The Grand Alliance, in Life, 6. Februar 1950, S. 47.)
Zwischen Januar und März 1941 kam es darüber hinaus zu einer Reihe von Geheimtreffen hochrangiger militärischer Vertreter der USA und Großbritanniens, mit dem Codenamen „ABC“ versehen. Die USA erklärten die feste Absicht, im Fall eines Eintritts in den Krieg an der Seite von Großbritannien zu kämpfen und sich zuerst auf einen Sieg gegen Hitler-Deutschland zu konzentrieren. Thema des Treffens, das bspw. am 27. Januar 1941 stattfand:
„Die besten Methoden, mit denen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und des Britischen Commonwealth mit seinen gegenwärtigen Verbündeten Deutschland und die mit ihm verbündeten Mächte besiegen könnten, sollten sich die Vereinigten Staaten genötigt sehen, zum Krieg zu schreiten.“ (Zit. wie Martin Gilbert: The Second World War – A Complete History, Kapitel „The widening war – January-March 1941“; https://erenow.net/ww/the-second-world-war-complete-history/12.php.)
Und damit zurück zu Henry Hemmings Buch Agents of Influence. Schlagen wir die Seite 146 auf. Wir lesen dort, dass Roosevelt im April 1941 „seinen kühnsten außenpolitischen Schritt seit Beginn des Krieges unternahm“:
„Kurz nachdem er Astor gesagt hatte, er werde ,handeln, um die USA hineinzubringen‘, befahl er den amerikanischen Truppen, Grönland zu besetzen, und der US-Marine, mit der Patrouille in einem großen Bereich des Atlantiks bis zum fünfundzwanzigsten Längengrad zu beginnen. Damit würden US-Kriegsschiffe in ein Gebiet eindringen, das Hitler nur einen Monat zuvor als Kampfgebiet bezeichnet hatte.
Roosevelt erklärte der Öffentlichkeit, es handele sich um eine Verteidigungsmaßnahme zum Schutz der amerikanischen Interessen, doch das war irreführend. Einige Tage nach dieser Ankündigung nahm der britische Botschafter Halifax an einem seltenen Mittagessen im Weißen Haus teil und berichtete anschließend, der Präsident ,erwartete‘, dass diese neuen Patrouillenarrangements ,zu einem Zwischenfall führen würden‘. Er erwähnte auch, dass nach der Art und Weise, wie Roosevelt darüber gesprochen hatte, dies ,keineswegs unerwünscht‘ wäre.
Innenminister Harold Ickes wies auch auf ,den kaum verhohlenen Wunsch des Präsidenten‘ hin, ,dass es einen Zwischenfall geben könnte, der unsere Kriegserklärung an Deutschland rechtfertigen würde‘. Auf der anderen Seite des Atlantiks, so schrieb Churchill, sehnte sich der US-Botschafter in London danach, ,dass Deutschland irgendeine offensichtliche Tat begeht, die den Präsidenten von seinem Wahlversprechen entbinden würde, sich aus dem Krieg herauszuhalten‘. Roosevelt hatte sogar einen Beamten des Außenministeriums gebeten, einen Bericht über die Reden seines Vorgängers Woodrow Wilson zu verfassen, die zu seiner Kriegserklärung an Deutschland 1917 geführt hatten. Er interessierte sich auch dafür, wie Präsident McKinley 1898 nach dem Untergang der USS Maine den Kongress gebeten hatte, Spanien den Krieg zu erklären, ein Ereignis, das Roosevelt geziert als ,eines dieser schrecklichen Dinge, die man eine Episode nennt‘, bezeichnete.
Ein Zwischenfall, eine Episode: Offenbar wollte Roosevelt die Deutschen im Atlantik provozieren. … (D)er Oberbefehlshaber der USA setzte amerikanische Seeleute in der Hoffnung ein, dass sie angegriffen würden, damit er eine bessere Chance hatte, das Land in den Krieg zu führen.
Dass Roosevelt dies überhaupt in Betracht zog, zeigt, wie entschlossen er bereits im März 1941 war, einen Weg in den Krieg zu finden. Das Problem bei seinem Plan war jedoch Hitler.
Der deutsche Führer weigerte sich, den Köder zu schlucken. Anstatt seine U-Boote anzuweisen, amerikanische Schiffe anzugreifen, wie Roosevelt es sich erhoffte, erkannte Hitler die neue amerikanische Sicherheitszone an. Sein Marinebefehlshaber, Admiral Raeder, bezeichnete das jüngste amerikanische Vorgehen im Atlantik als ,eine Kriegshandlung‘. Hitler widersprach. Die deutschen Streitkräfte dürften Roosevelt nicht den Vorwand liefern, den Mantel der Neutralität abzulegen, der ihm vom Kongress auferlegt worden war, ,und damit den sehnlichsten Wunsch der Briten zu erfüllen!‘ Er wusste, was Roosevelt vorhatte, und gedachte nicht darauf hereinzufallen.“ (Zit. wie Henry Hemming: Agents of Influence, S. 146-47.)
In der Tat: Im Frühjahr 1941 wie auch in den kommenden Monaten sollte Hitler mit Blick auf die USA zur „äußersten Zurückhaltung Deutschlands im Atlantik“ aufrufen, wovon mehrere Weisungen an die Admiralität zeugen. Wiederholt wurde dem Marine-Oberbefehlshaber Admiral Erich Raeder im Sommer und Herbst 1941 befohlen, Zwischenfälle mit Schiffen der Vereinigten Staaten müssten unter allen Umständen vermieden werden. (Vgl. Saul Friedländer: Auftakt zum Untergang – Hitler und die USA, 1939–1941. S. 172 f, 199 f., 201.)
Unterdessen landeten Anfang Juli 1941 US-Truppen in Island, was zur Folge hatte, dass in der Region seither verstärkt US-Kriegsschiffe unterwegs waren. Am 10. Juli 1941 berichtete u.a. die New York Times, dass US-Marine-Minister Frank Knox in diesem Zusammenhang angedeutet habe, die US-Marine sei dazu „ermächtigt, bei der Patrouille auf dem Meer nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Kanonen einzusetzen“. (Zit. wie Knox Hints Navy Has Shooting Right in Sea Lane Patrol. New York Times, 10. Juli 1941; https://www.nytimes.com/1941/07/10/archives/knox-hints-navy-has-shooting-right-in-sea-lane-patrol-quotes.html.)
Die Tatsache, dass rund um Island Kriegsschiffe der USA unterwegs waren, führte einige Zeit später zum sogenannten Greer-Zwischenfall.
- Der Greer-Zwischenfall
Zur Schilderung dieses Vorfalls, der sich am 4. September 1941 zutrug, ziehe ich vier verschiedene Berichte heran. Der erste Bericht soll dem 1. Band der History of United States Naval Operations in World War II entnommen werden, genannt The Battle of the Atlantic, geschrieben von Samuel Eliot Morison. Darin schildert Morison, die Befehlslage sei zur damaligen Zeit für die Kommandeure der US-Marine für den Fall, dass sie auf dem Atlantik auf deutsche Kriegsschiffe stoßen würden, etwas zweideutig gewesen:
„Sollten sie zuerst schießen und die Marine es erklären lassen, oder nur feuern, wenn auf sie geschossen wurde? Handelte es sich um Concord Bridge oder Lexington Green?
Diese anomale Situation, die weder Frieden noch Krieg war, wurde durch den Greer-Vorfall deutlich. Die U.S.S. Greer, die den Wimpel von Commander G.W. Johnson trug und von Lieutenant Commander L.H. Frost kommandiert wurde, befand sich am 4. September 1941 auf dem Weg nach Island … mit einer Geschwindigkeit von 17 ½ Knoten. Um 8.40 Uhr meldete ihr ein britisches Flugzeug, dass sich ein getauchtes U-Boot etwa zehn Meilen vor ihr befand. Greer begann im Zickzackkurs zu fahren, erhöhte die Geschwindigkeit auf zwanzig Knoten, … nahm Kurs auf die gemeldete Position und verlangsamte bei Erreichen der Position auf zehn Knoten, um die volle Funktionsfähigkeit der Schallanlage zu gewährleisten. Sie nahm Schallkontakt mit dem U-Boot auf und hielt ihn drei Stunden lang aufrecht, wobei sie das getauchte U-652 immer vor sich hatte, aber nicht angriff. Um 10.00 Uhr erkundigte sich der britische Flugkapitän, ob Greer angreifen wolle, was verneint wurde. Daraufhin warf er seine Wasserbomben mehr oder weniger wahllos ab und kehrte zur Basis zurück, um aufzutanken. Um 12.40 Uhr steuerte das U-Boot auf den amerikanischen Zerstörer zu und schoss einen Torpedo ab, der rechtzeitig gesichtet wurde, um ihm auszuweichen. Greer griff mit Wasserbomben an, und um 13.00 Uhr schoss das U-Boot einen zweiten Torpedo ab, dem ebenfalls ausgewichen wurde. Da Greer keinen akustischen Kontakt herstellen konnte, brach sie die Suche um 14.16 Uhr ab und nahm den Kurs auf Island wieder auf.
Es war also Lexington Green, und wie bei diesem klassischen Vorfall entbrannte die Seite, die nicht zuerst geschossen hatte, in tugendhafter Entrüstung. In einer Rundfunkansprache am 11. September bezeichnete Präsident Roosevelt den Angriff auf die Greer als ,Piraterie‘ und erklärte: ,Wenn von nun an deutsche oder italienische Kriegsschiffe in Gewässer eindringen, deren Schutz für die amerikanische Verteidigung notwendig ist, so tun sie dies auf eigene Gefahr.‘
Damit endete für die US-Marine die peinliche Situation, dass sie die Verantwortung für den Schutz weiter Teile des Nordatlantiks trug, ohne die Befugnis zum Schießen zu haben.
Vom Tag des Greer-Zwischenfalls an, dem 4. September 1941, befanden sich die Vereinigten Staaten de facto in einem Seekrieg mit Deutschland auf dem Atlantik.“ (Zit. wie Samuel Eliot Morison: The Battle of the Atlantic, S. 79-80.)
Wenn wir uns nun der zweiten Darstellung des Greer-Zwischenfalls zuwenden, werden die Dinge schon gleich etwas anders klingen. Dazu schlagen wir einmal mehr Agents of Influence von Henry Hemming auf:
„Am frühen Morgen des 4. September 1941 entdeckte ein britischer Hudson-Bomber, der in den Gewässern südlich von Island patrouillierte, ein deutsches U-Boot. Der Funker des Bombers kontaktierte einen in der Nähe befindlichen Zerstörer der Wickes-Klasse, die USS Greer, und gab die Position des U-Boots weiter. Wäre dies am Vortag geschehen, wäre dies das Ende der Fahnenstange gewesen. Die Greer hätte ihren Dienst fortgesetzt und wäre dem deutschen Boot ausgewichen. Aber von Beginn dieses Tages an hatte der Kapitän der Greer neue Befehle. Anstatt alle deutschen U-Boote zu meiden, sollte er sie verfolgen, und wenn er das Gefühl hatte, dass sie eine Gefahr darstellten, konnte er das Feuer eröffnen. Also änderte die Greer ihren Kurs und begann, das U-Boot zu beschatten.
Einige Stunden später meldete der britische Bomber über Funk, dass er umkehren würde, da er seinen Treibstoff weitgehend verbraucht hatte. Kurz vor dem Abflug warf er vier Wasserbomben über der letzten bekannten Position des U-Boots ab.
Der deutsche Kapitän von U-652 … spürte die vier Explosionen um sich herum mit einer wilden, dumpfen Intensität. Einen Moment lang konnte er nicht verstehen, was geschehen war. Das einzige Schiff in der Nähe war die Greer. Sein Befehl lautete, einen Zwischenfall zu vermeiden, aber dies war anders. Soweit er es beurteilen konnte, war er ohne Provokation von einem US-Zerstörer angegriffen worden. Er hatte sowohl das Recht als auch die Notwendigkeit, sich zu verteidigen.
Kurz vor Mittag (Ortszeit) feuerte das U-Boot zwei Torpedos auf die Greer ab. Diese Unterwasserraketen rasten auf ihr Ziel zu … Aber sie wurden von einem Ausguck auf der Greer entdeckt. Der amerikanische Kapitän wandte sich ihnen zu. Die Torpedos verfehlten ihr Ziel.
Mit der gleichen Wut wie der U-Boot-Kommandant kurz zuvor feuerte der Kapitän der Greer neunzehn Wasserbomben in Richtung des U-Boots. Sie verfehlten alle, und einige Stunden später trennten sich die beiden Boote.
Der offene Krieg zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika hatte begonnen. Es war seltsam passend, dass dieser Schlagabtausch durch einen britischen Angriff ausgelöst wurde, den die Deutschen fälschlicherweise für einen amerikanischen hielten. (…) Wie so oft in dem Schattenkrieg, der sich nunmehr im Atlantik abspielte, wurde die amerikanische Bevölkerung mit einer anderen und tendenziösen Darstellung der Geschehnisse gefüttert. Die offizielle Version, die am nächsten Tag veröffentlicht wurde, lautete, dass die USS Greer Opfer eines unprovozierten deutschen Angriffs gewesen sei.“ (Henry Hemming: Agents of Influence, S. 221-22.)
Die dritte Darstellung kommt aus dem Buch Auftakt zum Untergang, verfasst von Saul Friedländer. Friedländer schreibt:
„Die Greer war auf dem Wege nach Island von einem britischen Flugzeug über den Standort eines in der Nähe befindlichen U-Bootes informiert worden, hatte die Position angesteuert und das getauchte U-Boot auch mit seinen Ultraschall-Ortungsgerät geortet. Da der Zerstörer selbst zunächst nicht anzugreifen beabsichtigte, warf das Flugzeug – von der Greer angewiesen – seine Wasserbomben, die U 652 für Wasserbomben des Zerstörers hielt. Nun setzte das U-Boot, das den Zerstörer bisher den gegebenen Befehlen entsprechend nicht angegriffen hatte, zum Angriff an und schoß zwei Torpedos, die aber ausmanövriert wurden. Die Greer griff darauf das U-Boot – auch ergebnislos – mit Wasserbomben an. Subjektiv konnten beide Fahrzeuge sagen, sie seien ,zuerst‘ angegriffen worden, doch kann man bei einer Wertung des Falles den ernsten Angriff des britischen Flugzeuges und das feindselige Verhalten der Greer nicht außer Acht lassen. Das tat Roosevelt jedoch, als er am 11. September diesen Fall benutzte, um damit einen Schritt, den sog. ,Schießbefehl‘, zu rechtfertigen, der faktisch den Beginn der Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und dem Reich bedeutete.“ (Saul Friedländer: Auftakt zum Untergang – Hitler und die USA 1939-1941, S. 198.)
Die vierte und letzte Auseinandersetzung mit dem Greer-Zwischenfall folgt aus einem Aufsatz von Gerard Hasselwander, enthalten in einer Ausgabe der „Marine-Rundschau – Zeitschrift für Seewesen“ im Jahr 1962. Hasselwander schreibt dort u.a., wenn man behauptet, der Kommandant des deutschen U-Boots, Fraatz, …
„…hätte erkennen können, daß es nicht der Zerstörer, sondern die … gesichteten Flugzeuge waren, die … Wasserbomben warfen, so muß man auch zugeben, daß die Greer, die zwischen 09.20 h und 10.30 h (oder 10.32 h) und auch noch danach den Schiffsort des getauchten U-Bootes bezeichnete, mitverantwortlich für den Flugzeugangriff ist und ihrerseits Beihilfe dazu leistete.“ (Zit. wie Gerard E. Hasselwander: Der US-Zerstörer Greer und U 652 am 4. September 1941, Marine-Rundschau – Zeitschrift für Seewesen, Ausgabe 59, 1962.)
Außerdem, so Hasselwander, dürften die Kommandanten beider Fahrzeuge „genau in Übereinstimmung mit den Befehlen gehandelt haben, an die sie zur Zeit des Zwischenfalles gebunden waren“.
Anhand „der erreichbaren Unterlagen“ stellt Hasselwander ferner fest:
„…daß beide Fahrzeuge annahmen, ,zuerst‘ angegriffen worden zu sein: U 652 von Greer statt tatsächlich vom britischen Flugzeug M/269 und Greer von U 652, wobei dieses seine Nationalität jedoch nicht erkannte. Man kann jedoch bei dem Angriff des U-Bootes den vorhergehenden Angriff des britischen Flugzeuges nicht außer acht lassen. Auch das im wesentlichen feindselige Verhalten der Greer gegen U 652 — indem sie es verfolgte und die Position funkte — darf man nicht vergessen; denn die Horchverfolgung half dem Flugzeug außerordentlich bei seinem Wasserbombenangriff auf das getauchte U-Boot. Man muß auch darauf hinweisen, daß sich der ursprüngliche Zwischenfall zu einer zwei Tage dauernden Suche nach U 652 durch britische Zerstörer und weitere Flugzeuge entwickelte. Tatsächlich hat das Verhalten von Greer das U-Boot daran gehindert, sich aus dem Gebiet zu entfernen, und es dem Flugzeug K/269 ermöglicht, den britischen Zerstörer Watchman zu der noch von Greer markierten Position zu führen.
Weiter kann man annehmen, daß beide Kommandanten in Übereinstimmung mit ihren allgemeingültigen Anweisungen handelten und keinesfalls für den Zwischenfall selbst verantwortlich gemacht werden können. Sicherlich waren die für Greer zutreffenden Befehle Commander Johnson völlig klar; denn er zögerte nicht, als der Ausstoßschwall um 12.44 h gesichtet wurde. Der Befehl vom 9. August 1941 wurde von Fraatz pünktlich befolgt, denn Greer hatte genügend Zeit, bevor U 652 schließlich angriff, und die Handlungsweise der Greer war ohne Zweifel eher feindlicher als neutraler Art. Der Zwischenfall war unvermeidlich, da die Politik der nationalen Selbstverteidigung, wie sie offiziell von den Vereinigten Staaten verkündet worden war, um die Auslieferung des Leih- und Pacht-Materials an Großbritannien sicherzustellen, niemals mit dem Tonnagekrieg in Übereinstimmung gebracht werden konnte, den die deutsche Kriegsmarine gegen die alliierte Schiffahrt führte.
Schließlich haben sich amerikanische Berichte über den Zwischenfall verständlicherweise bemüht, die Rolle der Greer zu rechtfertigen, während deutsche Berichte mit Nachdruck feststellen, daß das U-Boot — was auch den Tatsachen entspricht — zuerst angegriffen wurde. Ob das Flugzeug M/269 ohne Greers Hilfe U 652 angegriffen hätte oder hierzu überhaupt in der Lage gewesen wäre, kann man wenigstens teilweise durch die Feststellung beantworten, daß M/269 offensichtlich zunächst keinen Versuch machte, das U-Boot anzugreifen, obwohl es dieses schon um 07.07 h über Wasser sichtete.“ (Zit. wie Gerard E. Hasselwander: Der US-Zerstörer Greer und U 652 am 4. September 1941, Marine-Rundschau – Zeitschrift für Seewesen, Ausgabe 59, 1962.)
- Radio-Ansprache
Den Greer-Zwischenfall nahm US-Präsident Roosevelt zum Anlass, um sich am 11. September 1941 mit einer Radio-Ansprache an die US-Bevölkerung zu wenden. Vom Weißen Haus aus schilderte Roosevelt den Greer-Zwischenfall aus seiner Sicht. Demnach sei der Angriff des deutschen U-Boots unprovoziert gewesen und überhaupt Teil einer größeren Nazi-Verschwörung. „Der Augenblick der Verteidigung ist gekommen“, erklärte Roosevelt – und gab bekannt, dass nunmehr alle deutschen oder italienischen Militärschiffe zu versenken seien, die in den von Washington als Verteidigungszonen Amerikas betrachteten Seegebieten operierten.
Roosevelt wortwörtlich:
(Audio-Ausschnitt: https://youtu.be/scOlllgkvIM?t=1245)
„(W)enn man eine Klapperschlange sieht, die zum Angriff bereit ist, wartet man nicht, bis sie zugeschlagen hat, ehe man sie zerquetscht. Diese Nazi-U-Boote und -Kaperschiffe sind die Klapperschlangen des Atlantiks. Sie sind eine Bedrohung für die freien Seewege auf hoher See. Sie sind eine Herausforderung für unsere eigene Souveränität.“ (FDR, Fireside Chat, 11. September 1941.)
Wie allerdings u.a. auf der Website des Council on Foreign Relations in New York City zu lesen steht:
„… Im Nachhinein betrachtet hatte sich der Angriff auf die Greer jedoch nicht so entwickelt, wie FDR behauptete. Die Greer war nicht das Opfer eines Überraschungsangriffs durch das deutsche U-Boot: ,Die Greer hatte sich absichtlich an das deutsche U-Boot herangepirscht, nachdem sie von einem britischen Flugzeug auf dessen Anwesenheit aufmerksam gemacht worden war. Das britische Flugzeug hatte das U-Boot mit Wasserbomben angegriffen, während die Greer die Verfolgung fortsetzte. Das U-Boot feuerte einige Torpedos ab, die Greer antwortete mit einigen Wasserbomben, und die Verfolgung endete ereignislos. Die Marine teilte dem Präsidenten mit, es gebe keine eindeutigen Beweise dafür, dass das U-Boot die Nationalität des Schiffes kannte, auf das es schoss.“ (James M. Lindsay: FDR’s “Shoot-on-Sight“ Fireside Chat. CFR, 11. September 2012; https://www.cfr.org/blog/twe-remembers-fdrs-shoot-sight-fireside-chat.)
Gerard Hasselwander meint zur Rundfunkansprache Roosevelts vom 11. September 1941:
„Die Schilderungen des Präsidenten oder, besser gesagt, seine Auslegungen dessen, was geschehen war, sind ausgezeichnete Beispiele dafür, wie Ungenauigkeiten und das Weglassen von Tatsachen als politische Hilfsmittel dienen können. Aber bald nach der Rede des Präsidenten vom 11. September 1941, in der er der Kriegsmarine der Vereinigten Staaten den Befehl gab, auf deutsche und italienische Kriegsschiffe beim Insichtkommen das Feuer zu eröffnen, unterrichtete der Chef der Seekriegsleitung, Admiral Harold R. Stark, aufgrund einer Aufforderung von Senator David I. Walsh, dem Vorsitzenden des Marineausschusses des Senates, diesen schriftlich genauer über den Greer-Zwischenfall. Zeitungen wie ,The New York Times‘ und Zeitschriften wie ,Time‘ erörterten alsbald kritisch die zwischen den Angaben des Admirals Stark und des Präsidenten bestehenden Abweichungen.“ (Gerard E. Hasselwander: Der US-Zerstörer Greer und U 652 am 4. September 1941, Marine-Rundschau – Zeitschrift für Seewesen, Ausgabe 59, 1962.)
- „Fake-News“
Ein paar Wochen nach Bekanntgabe des sogenannten „Schießbefehls“ vom 11. September 1941, wodurch sich die USA und Deutschland „bereits in der Praxis im Atlantik im Kriegszustand befanden“ (William Leonard Langer/S. Everett Gleason: The Undeclared War 1940 – 1941, S. 925), hielt Roosevelt eine Rede im Mayflower Hotel in Washington D.C. Dort sagte er, man habe vermeiden wollen, dass auf hoher See geschossen werde. „Aber das Schießen hat begonnen. Und die Geschichte hat aufgezeichnet, wer den ersten Schuss abgegeben hat. Auf lange Sicht wird es jedoch nur darauf ankommen, wer den letzten Schuss abgegeben hat.“
In seiner Rede merkte Roosevelt ferner an, er besäße eine „Geheimkarte“ der deutschen Regierung, welche zeigen würde, wie Hitler sich eine Neuordnung in Süd-Amerika vorstellen würde – was darauf schließen ließe, dass Hitler auch diesbezügliche Pläne für die USA habe.
Sehen und hören Sie hier:
Ausschnitt: President Roosevelt’s Navy Day Speech (1941)
https://www.youtube.com/watch?v=_m14IfrurjU
Die Karte, von der Roosevelt sprach, war in Wahrheit eine Fälschung, die im Auftrag des MI6-Agenten William Stephenson angefertigt wurde. Was Roosevelt verbreitete, war also – wie schon am 11. September 1941 – nichts anderes als buchstäblich „Fake-News“.
- Post Scriptum
Der 11. September 1941 ist nicht nur wegen des Schießbefehls, der an diesem Tag bekanntgegeben wurde, von Bedeutung – denn an diesem Tag begannen auch die Bauarbeiten am Hauptquartier des US-Militärs, dem Pentagon. Auf der Website des US-Verteidigungsministeriums lesen wir dazu:
„Das Pentagon war die Idee des Armee-Brigadegenerals Brehon B. Sommervell, der es in den frühen 1940er Jahren als vorübergehende Lösung für den kritischen Platzmangel des damaligen Kriegsministeriums vorschlug, als der Eintritt in den Zweiten Weltkrieg unmittelbar bevorstand. Der Plan wurde genehmigt, und am 11. September 1941 wurde mit dem Bau begonnen.“ (Zit wie. Pentagon History: 7 Things to Know. U.S. Department of Defense; https://www.defense.gov/News/Feature-Stories/story/Article/1867440/pentagon-history-7-big-things-to-know/.)
Auf den Tag genau 60 Jahre später wurde das Pentagon Schauplatz von 9/11.